Die Bundeswehr und die Belgischen Streitkräfte in Deutschland
Akteure, Herausforderungen und Verflechtungsprozesse militärischer Zusammenarbeit bis 1990. Historische Dimensionen Europäischer Integration, Band 32

Über sechs Jahrzehnte (1945-2005) erstreckte sich die Präsenz belgischer Streitkräfte in Westdeutschland. Als „Belgische Besatzungsarmee“ waren sie Teil der an Besetzung und Besatzung des besiegten Deutschlands beteiligten Armeen, als „Belgische Streitkräfte in Deutschland“ (BSD) gehörten die Truppen seit den 1950er Jahren zu den NATO-Truppen in der Bundesrepublik. Der 1994 lancierte Plan „Reforbel“ läutete nach der deutschen Einigung und einer Neuausrichtung der belgischen Armee nach dem Ende des Kalten Krieges das Ende dieser Militärpräsenz ein. Belgische Truppen waren vor allem im Kölner Raum und im Siegerland sowie in Ostwestfalen (in der ehemaligen britischen Zone) stationiert gewesen. Zählt man die Familien hinzu, verbrachten in diesem Zeitraum über eine Million Belgier einen (manchmal langen) Teil ihres Lebens in Deutschland.

Der nicht allzu üppigen Historiografie zu den BSD fügt Jonas Springer in seiner nunmehr in Buchform vorliegenden Düsseldorfer Dissertation einen wichtigen Baustein hinzu. Mit der 1955 geschaffenen Bundeswehr trat ein neuer, besonderer Akteur auf den Plan: aus einem vor kurzem noch besetzte Feind wurde ein Partner in den westlichen Bündnis- und Verteidigungssystemen im Kalten Krieg. Jonas Springers Ausgangsfrage nach der militärischen Kooperation zwischen Bundeswehr und BSD ist dementsprechend ebenso einleuchtend wie vielversprechend.  

Das Werk ist in vier Teile gegliedert: einer kurzen Einleitung schließen sich die beiden Hauptkapitel zu den Grundlagen der belgischen Militärpräsenz und zu „ausgewählten Stationen zur deutsch-belgischen Militärkooperation“ an, am Schluss steht eine Gesamtwürdigung. Als Herausforderung erwies sich die Quellenlage. Während auf deutscher Seite ein recht problemloser Archivzugang möglich ist, ist dies für die belgischen Militärarchive leider (immer noch) nicht der Fall. Hier kann nur die mittlerweile konkret ins Auge gefasste Eingliederung dieser Bestände in das Belgische Staatsarchiv Abhilfe leisten. Springer macht dieses Defizit, so gut es geht, wett, indem er neben den belgischen offiziellen Armeepublikationen auch das in dem Eifelort Vogelsang (Kreis Schleiden) verbliebene Standortarchiv hinzuzieht. Aufgrund seiner Lage an der belgisch-deutschen Grenze, seiner Vergangenheit als NS-Ordensburg und seiner Funktion als intensiv genutzter Truppenübungsplatz im Kalten Krieg ist die Beschäftigung mit Vogelsang zweifellos unumgänglich für die Erforschung der Militärpräsenz in langer Dauer.

Die Darstellung der belgisch-deutschen Militärkooperation stellt den Verfasser mithin vor einige Herausforderungen und erlegt ihm einige konzeptionelle Entscheidungen auf. Springer bewegt sich hier in den von der existierenden Forschung vorgegeben Bahnen. Er erzählt das Verhältnis zwischen Bundeswehr und BSD vorwiegend als deutsch-belgische Beziehungsgeschichte – wie dies einige jüngere Publikationen (an denen Springer teilweise beteiligt war) auch für das Verhältnis zwischen BSD und deutscher Zivilbevölkerung getan haben. Diese Entscheidung ist legitim, hat jedoch ihren Preis. Legitim ist sie, da sie auf der Grundlage von (deutschen) Personalunterlagen von Verbindungsoffizieren viel Neues über Akteurskonstellationen zutage fördert und die Rolle des Lagers Vogelsang gleichsam als Beziehungsgeschichte unter dem Brennglas analysiert. Der Preis wird jedoch deutlich, indem die im Buchuntertitel angekündigte Verflechtungsgeschichte nicht eingelöst wird. Der Grund hierfür liegt darin, dass Springer zwar eine Kontextualisierung seines Untersuchungsgegenstandes im Kalten Krieg vornimmt, er aber kaum einmal die konkrete Beziehung zwischen belgischen (und alliierten) sicherheitspolitischen Konzeptionen und den militärischen Aufgaben der BSD im Verteidigungskonzept der NATO herstellt. So wird am Beispiel der BSD der alltägliche Aushandlungsprozess zwischen der Bundeswehr und ihren Bündnispartnern bei der Umsetzung nicht zuletzt infrastruktureller Aufgaben deutlich, die dahinterliegenden strategischen Konzeptionen belieben jedoch unterbelichtet. Die fehlenden Quellen aus dem Militärarchiv wiegen hier schwer, allerdings wären für die belgische Seite die online zugänglichen Berichte der parlamentarischen Ausschüsse für Außen- und Verteidigungspolitik durchaus relevant gewesen.

Im Schlussteil seiner sehr gut lesbaren Studie präsentiert Springer eine ausführliche Zusammenfassung seiner Befunde. Hier wäre es wohl angebracht gewesen, einmal grundsätzlich über die methodischen und inhaltlichen Grenzen der Arbeit zu reflektieren. Dies hätte die zahlreihen neuen Ergebnisse, aber auch die Erweiterung und Ausdifferenzierung der bestehenden Forschungsliteratur nur noch besser zur Geltung gebracht.