Öffentlichkeit und Inszenierung
Besuche in nationalsozialistischen Konzentrationslagern zwischen 1933 und 1945. Geschichte der Konzentrationslager 1933-1945, Band 16

Lange Zeit versuchte die postnationalsozialistische Volksgemeinschaft, die Konzentrationslager, ihre Häftlinge und die an ihnen begangenen Verbrechen weit von sich zu schieben, indem die Lager als hermetisch abgeschirmte ferne Inseln des Terrors dargestellt wurden, mit denen die Gesellschaft nichts zu tun gehabt habe. Bereits in etlichen frühen Berichten Überlebender der Lager konnte, wer wollte, zahlreiche Hinweise auf die vielfältigen Verflechtungen der KZ mit den Orten und Regionen sowie ihren Bewohnern in ihrer Nachbarschaft finden. Doch das wollten bis weit in die 1980er Jahre die wenigsten. Auch die Forschung widmete sich, aus verständlichen Gründen freilich, aber kaum weniger zögerlich, zunächst grundlegenderen Fragen der Geschichte der KZ. Seit den 1990er Jahren änderte sich dies allmählich.

Kerstin Schwenkes umfassende Monographie über die „Besuche in nationalsozialistischen Konzentrationslagern zwischen 1933 und 1945“ nimmt nun einen wichtigen Teil der Verflechtungsgeschichte der Lager in den Blick, indem sie erstmals systematisch die Besucher der verschiedensten Personen(gruppen) in den Lagern analysiert und darstellt. Dazu zählt sie einem weiten Verständnis von Besuch folgend neben den Angehörigen von Gefangenen SS-Funktionäre und -Delegationen, nicht zuletzt Heinrich Himmler persönlich, Journalisten aus dem In- und Ausland, Wirtschaftsvertreter, Juristen, Wehrmachtsangehörige, Mediziner und Vertreter von Staat und Partei. In den Vordergrund rückt sie, darauf verweist der Titel ihres Buches bereits, den Aspekt der Inszenierung. Schwenke macht hierfür den performative turn, der vielfach mit Blick auf Gerichtsverfahren und ähnliche Situationen zur Geltung kam, fruchtbar, was zugleich unterstreicht, dass sie die Gruppe der Lagerhäftlinge nicht als passive Masse, sondern vielmehr als eigenständige Akteure ansieht, wenn auch Akteure mit eingeschränkteren Handlungsmöglichkeiten als die Besucher.

In ihrer quellengesättigten Studie folgt Schwenke einem Bündel von Leitfragen: Welche Orte wurden überhaupt besucht? Welche Phasen der Besuche lassen sich ausmachen? Welche Motive lagen den Besuchen zugrunde und in welchen Kontexten lassen sie sich verorten? Welche Konsequenzen und Wirkungen hatten sie? Welche Inszenierungsformen wählte die SS? Was sagt dies über ihr Selbstverständnis aus? Welche Bedeutung haben die Besuche für die Frage nach Öffentlichkeit und Zugänglichkeit der KZ?

Die Angehörigenbesuche, deren Organisation und Praxis sie inklusive der damit verbundenen Emotionen ausführlich und eindringlich schildert, fallen aus den Leitfragen ein wenig heraus, da sie einen ganz anderen Charakter als alle anderen untersuchten Besuchsformen hatten. Umso positiver soll hervorgehoben werden, dass Schwenke sie dessen ungeachtet in dieser Systematik erstmals zum Gegenstand der Forschung gemacht hat.

Die Lager (und die Häftlinge) bildeten die Fassade, vor der die SS sich allen anderen Besuchergruppen gegenüber für unterschiedliche Zwecke in Szene setzte. Journalisten, die mehrheitlich in den ersten Jahren, vor allem 1933, in Lager wie Oranienburg oder Dachau geführt wurden, präsentierten die Kommandanten in Standardführungen ihre Lager als Ort einer mitunter harten, aber gerechten Strafe und Umerziehung. Richtung Ausland war damit immer die Botschaft verbunden, dass Berichte entlassener oder entflohener Häftlinge über Gewalt in den Lagern ins Reich der Legenden gehörten; an die Volksgenossen im Reich eine mehr oder minder subtile Aufforderung zur Konformität.

Wirtschaftsvertreter hingegen waren eine späte Besuchergruppe, mehrheitlich suchten sie die Lager erst in den Kriegsjahren ab 1941 auf, als sich die SS die Häftlingsarbeitskraft zunutze machen wollte und der Arbeitskräftemangel in zahlreichen Bereichen die Wirtschaftsvertreter nach billigen Arbeitskräften Ausschau halten ließ. Dementsprechend bekamen sie Orte vorgeführt, die diesem Interesse in besonderer Weise dienten.

Zahlreiche Offiziere und Offiziersanwärter der Wehrmacht wurden im Rahmen ihrer Ausbildung in Lager führt, auch HJ-Angehörige, lokale Parteifunktionäre sowie höherrangige Vertreter aus Staat (Minister u.a.) und Partei (Gauleiter, Reichsstatthalter) waren regelmäßig zu Besuch. Die Präsentation der Lager gehörte so zur weltanschaulichen Schulung einer künftigen Elite in Staat, Partei und Wehrmacht. Überdies verband Himmler damit ein wichtiges Motiv, konnte er so seine SS und ihre Lager doch als mächtige und perfekt organisierte Organisationen inszenieren und seine Machtstellung innerhalb des Regimes damit untermauern. Besuche dieser Art fanden während der gesamten Periode der NS-Diktatur statt.

Besuche in den KZ waren jedoch nicht allein eine interessengeleitete Inszenierung für die Öffentlichkeit oder ausgewählte Akteure und Institutionen der NS-Diktatur, sondern gewissermaßen auch eine SS-interne bzw. lagerinterne Inszenierung. Himmler frönte bei seinen zahlreichen Besuchen seinem berüchtigten Kontrollwahn, verband sie mit Zurechtweisungen oder Beförderungen seiner Männer, kontrollierte den Fortgang von Bauprojekten, inspizierte Mordanlagen und Mordprozesse und setzte seine Allmacht in direkter Begegnung mit Gefangenen in Szene. Solche Kontrollbesuche führten auch Theodor Eicke und andere aus der Inspektion der Konzentrationslager und den SS-Hauptämtern durch. Überdies informierten sich Lagerkommandanten über bestimmte Aspekte, indem sie andere Lager besuchten. So besuchte Rudolf Höß, Kommandant von Auschwitz, das Vernichtungslager Treblinka, um sich anzuschauen, wie man dort den Mordprozess und die Beseitigung der Spuren organisierte.

Wie bei weiten Teilen der täterinternen Kommunikation wurde selbst bei SS-internen Besuchen nicht von der Inszenierung abgelassen, obwohl allen Beteiligten der wahre Zweck und Charakter der Lager und ihrer Einrichtungen bekannt war. Hierin muss man jedoch nicht unbedingt einen Widerspruch sehen, da nicht versucht wurde, etwas zu verbergen, sondern vielmehr dem einen sauberen Anstrich guter Organisation zu geben.

Viele dieser Besuche, die von Wehrmachtangehörigen und Journalisten zum Beispiel, blieben für die Häftlinge folgenlos, sieht man von den Vorbereitungen der Inszenierung ab. Andere jedoch hatten direkte und massive Konsequenzen, wenn es etwa um Projekte ging, die in umfassende Produktions- und ähnliche Projekte mündeten. Auch Himmlers Besuche waren häufig verbunden mit wichtigen Entscheidungen in Personalfragen, zur Vergrößerung der Lager, Änderung ihres Status und zum Häftlingsalltag, indem beispielsweise die Arbeitszeiten ausgeweitet oder Strafen verschärft wurden.

Kerstin Schwenke hat mit ihrer hier nur ausschnitthaft vorgestellten Monographie ein gewichtiges Buch zu einem bislang vernachlässigten Thema vorgelegt, das die Erforschung der Konzentrationslager und ihrer Geschichte bereichert und ein gutes Stück vorangebracht hat. Sie eröffnet eindrückliche Einblicke in die Verflechtung von Lagern, Instanzen des NS-Staates und der Gesellschaft, die vielfältiger und vielschichtiger waren als zumeist angenommen.