Gustav Frenssen
Sein Weg vom Kulturprotestantismus zum Nationalsozialismus (Religiöse Kulturen der Moderne, 10)

1901, im Jahr ihres Erscheinens wurden von Thomas Manns „Buddenbrooks“ 1.000 Exemplare  verkauft, aber von Gustav Frenssens „Jörn Uhl“ 150.000. Die heutige Bekanntheit der beiden Autoren steht nicht einmal im umgekehrten Verhältnis. Wenn sich auch einige Literaturwissenschaftler mit Frenssen beschäftigt haben, ist die anzuzeigende Monographie die erste theologische Arbeit über den damaligen Pastor in Dithmarschen, dessen „Dorfpredigten“ nach dem Urteil des namhaften liberalen Theologen Otto Baumgarten 1910 „zweifellos die gelesensten Predigten der Gegenwart“ eine fünfmal so hohe Auflage wie Friedrich Naumanns „Gotteshilfe“ erreichten.

Daß man sich heute an Frenssen kaum noch erinnert, ist sicher eine Folge seiner Begeisterung für das Dritte Reich, zu dessen geistigen Wegbereitern er sich zählte und dem er 1936 mit „Der Glaube der Nordmark“ sein Bekenntnisbuch schrieb. Zwar gingen 1933 nicht wenige liberale Theologen zu den Deutschen Christen, wie Martin Rade erschreckt beobachtete, aber Frenssen war ein Einzelfall. Er erhielt zwar durch Rades „Christliche Welt“ wesentliche Impulse, aber diese verbanden sich früh mit einer nordischen Sehnsucht. „Es geht ein Wille und Wunsch durchs Volk, zur Natur zu kommen: zu einer schlichten, schönen Religion, zur sozialen Gerechtigkeit, zu einem einfachen, edlen, germanischen Menschentum“, heißt es 1905 in „Hilligenlei“, dem meist gelesenen Buch des Jahres, das sein Zentrum in dem „Leben des Heilands, nach deutschen Forschungen dargestellt: die Grundlage der Wiedergeburt“ hat. Der inzwischen aus dem Pfarramt ausgeschiedene Autor will auch einen Beitrag zur Leben-Jesu-Forschung bieten.

Dieser Höhepunkt von Frenssens öffentlicher Wirksamkeit belegt, daß die Beschäftigung mit seiner keineswegs geradlinig verlaufenen Biographie zu der Frage herausfordert: Wie ist dieser Erfolg zu erklären? Crystall bietet dazu als Antwort eine überzeugende Rekonstruktion des Lebenslaufes und der unmittelbaren Rezeption in zustimmenden und ablehnenden Kritiken. Im Sinne der „religiösen Kulturen der Moderne“ (Reihentitel) wäre allerdings stärker der braune Schatten des liberalen Bürgertums der wilhelminischen Ära – hier dürften die meisten Leser Frenssens zu verorten sein – auszuleuchten. Während Frenssen in der Weimarer Republik sogar zur Völkerverständigung aufruft, findet er im Dritten Reich nur innerhalb der Partei stärkere Resonanz.