Anwalt des Reiches. Carl Schmitt und der Prozess „Preussen contra Reich“ vor dem Staatsgerichtshof

Es muß für einen Staatsdenker eine unglaubliche Chance sein, wenn die Ergebnisse seines Denkens unmittelbar praktische Politik werden. Im Jahr 1932 schien sich Carl Schmitt eine solche Chance zu bieten. Die politischen Verhältnisse in Preußen hatten sich so entwickelt, daß auch von der sozialdemokratischen Regierung erwogen wurde, ob nicht ein vom Reich entsandter Staatskommissar die einzige Möglichkeit wäre, jenseits der verfassungsfeindlichen Parteien NSDAP und KPD Stabilität zu erreichen. Der vorletzte Weimarer Reichskanzler Franz von Papen hatten dann sozusagen diese Gelegenheit wahrgenommen und am 20. Juli 1932 einen Reichskommissar eingesetzt, ein Ereignis, das als „Preußenschlag“ bekannt wurde. Allerdings verfolgte er und sein Innenminister Wilhelm von Gayl ganz andere Ziele damit, die durchaus auch ausgesprochen wurden, nämlich eine dauerhafte Abschaffung der parlamentarischen Demokratie in Deutschland im reaktionären Sinne. Die abgesetzte preußische Regierung klagte beim „Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich“ gegen das Reich. Das Urteil, das im Oktober erging, gab der Reichsregierung für die Einsetzung zwar im Grundsatz recht, setzte aber gleichwohl die bisherige preußische Regierung wieder ein.

Einer der Prozeßvertreter der Reichsregierung war Schmitt. Freilich war seine Position schon deshalb von vornherein schief, weil das, was die Reichsregierung bezweckt hatte, genau nicht seinen Vorstellungen davon entsprach, wie die Verfassungskrise im Reich zu lösen sei. Anders als die wohl immer noch herrschende Meinung will, war er gerade nicht für die dauernde Beseitigung der Weimarer Verfassung, sondern wollte diktatorische Notstandsmaßnahmen lediglich zur Erhaltung der „Substanz“ der Verfassung treffen lassen. So hatte er es bereits in seiner Verfassungslehre ausgeführt, so hatte er es in seiner kurz vor dem „Preußenschlag“ erschienenen Schrift Legalität und Legitimität entwickelt, und in diesem Sinne war er kurz danach im Kreise des letzten Reichskanzlers Kurt von Schleicher tätig gewesen. Daher war der anders gemeinte „Preußenschlag“ nicht in seinem Sinne, daher war er über seine Rolle unglücklich, daher modifizierte das Reich während des Prozesses Position und Argumentation, und daher ging der Prozeß mindestens zur Hälfte verloren.

Das vorliegende Buch legt all das in überzeugender Weise zu einem wesentlichen Teil aufgrund neuer Quellen dar, darunter Schmitts Tagebücher. Dazu gehören auch Berichte des konservativen Journalisten Georg Dertinger, der nach 1949 Minister für Auswärtige Angelegenheiten der DDR wurde, 1953 nach Bautzen II kam; auch der SED-Kollaborateur Otto Nuschke kommt vor, fehlt aber im Namensverzeichnis.

Das Buch läßt demgemäß zum einen den „Preußenschlag“ selbst, vor allem aber die Rolle und Position Carl Schmitts in einem neuen Licht erscheinen. Sie wurden dadurch verunklart, daß man sein Verhalten zu sehr im Lichte der Tatsache betrachtete, daß er sich nach der „Machtergreifung“ Hitlers in schändlicher Weise dem NS-Regime in die Arme geworfen hatte. In der Endphase der Weimarer Zeit war er dagegen bestrebt, im Sinne der Konzeption Schleichers durch ein vorübergehendes autoritäres Regime die NSDAP von der Macht fernzuhalten und nach einer erfolgten Stabilisierung wieder zu freiheitlichen Verhältnissen zurückzukehren; das entsprach seinen Vorstellungen von der Legalität, die in Zeiten der Gefahr zugunsten der Legitimität verletzt werden dürfe, das entsprach seiner Konzeption von einer kommissarischen, nicht endgültigen Diktatur, und das schien sich ihm mit dem „Preußenschlag“ zu verwirklichen. Wie ein Platon ist er dann an der politischen Wirklichkeit gescheitert.