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Der rettende Weg - WLA-Online - Wissenschaftlicher Literaturanzeiger
Der rettende Weg
Schindlers Liste – die wahre Geschichte

Mehr als zehn Jahre nach dem internationalen Kassenschlager von Steven Spielberg und einer Fülle von Erinnerungsliteratur zum Thema liegt nun mit David Crowes Werk erstmals eine umfassende Biographie Oskar Schindlers mit wissenschaftlichem Anspruch vor. Wie der Klappentext glauben machen will, ist es nicht nur die erste wissenschaftliche Biographie, sondern gleich 'die' Biographie, die keine Fragen offen lasse, gleichsam Anfang und Ende einer seriösen Schindler-Forschung.

Zeitgleich erscheinen die Erinnerungen von Mietek Pemper, der als Stenograph des Lagerkommandanten von Plaszow, Amon Göth, arbeitete und so einen intimen Einblick in die Geschichte und Hintergründe des Zwangsarbeitslagers sowie in das Handeln Schindlers und die Entstehung der berühmten Liste hatte, die schließlich auch ihm das Überleben sicherte.

Zwei Bücher zu einem Thema, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Auf der einen Seite ein detailverliebtes wissenschaftliches Werk, auf der anderen Seite der nüchterne Bericht eines ganz besonderen Zeitzeugen. Zudem kommen sie im Hinblick auf eine Frage, der nach der Entstehungsgeschichte der berühmten Liste, zu diametral verschiedenen Ergebnissen.

Crowe zeichnet auf Grundlage von zahlreichen Interviews und weit verstreuten Akten und Briefen das Leben Oskar Schindlers akribisch nach. Heraus kommt das, abgesehen von Details, im Grunde genommen bereits aus Thomas Kenneallys Roman 'Schindlers Liste' und Spielbergs gleichnamigen Spielfilm bekannte Bild von Schindlers Leben: Seine Spionagearbeit für die deutsche Abwehr im Sudetenland lange vor Einmarsch der Deutschen, seine Parteimitgliedschaft, sein Aufstieg als Industrieller und damit verbunden der Kriegsgewinnler und Glücksritter im besetzten Polen und schließlich seine Entwicklung zum Retter von mehr als 1.000 Juden. Ausführlich schildert Crowe auch Schindlers Leben nach 1945, das geprägt war von Scheitern, Geldnöten und dem Streben nach Anerkennung für seine Rettungstaten. Daneben erfährt der Leser viel von der Begeisterung für schnelle Autos und Motorräder, von zahlreichen Affären, Saufgelagen und dergleichen mehr. Daran knüpft Crowe seine Leitfrage: Wer war Oskar Schindler? Retter oder Trinker und Frauenheld? Eine banale Frage, die eigentlich bereits beantwortet ist und auf einem künstlichen Gegensatz aufbaut. Dahinter steht die längst überwunden geglaubte Vorstellung vom reinen Helden auf der einen Seite oder dem grundbösen Täter auf der anderen Seite.

Wie die letztlich banale Leitfrage sich störend durch das gesamte Buch zieht, so auch der permanente Bezug zu Spielbergs Film und Kenneallys Roman, an denen sich Crowe regelrecht abarbeitet. Crowe schreibt so stellenweise gegen Windmühlen an, indem er immer wieder Spielfilm und Roman auf historische Genauigkeit bis ins Detail durchleuchtet. Hier hätte dem Buch ein beherzteres Lektorat gut getan, das zudem manches an Detailversessenheit und Fehlern hätte korrigieren müssen. Zahlreiche polnische Ortsnamen und Eigennamen sind nicht nur fehlerhaft, sondern tauchen in verschiedenen Varianten auf. Die Ränge und Bezeichnungen der deutschen Besatzungsfunktionäre werden uneinheitlich und manchmal auch schlicht falsch gebraucht: Der SS- und Polizeiführer des Distrikts Krakau zum Beispiel wird im Buch stellenweise als Höherer SS- und Polizeiführer tituliert, was bisweilen für leichte Verwirrung sorgen kann. Manche Fehler wären vermeidbar gewesen, wenn Crowe auch auf die grundlegenden Arbeiten von Bogdan Musial, Dieter Pohl und Thomas Sandkühler über die deutsche Besatzungspolitik und Ermordung der Juden im besetzten Polen zurückgegriffen hätte, zumal letzterer sich auch ausführlich mit der Rettung von Juden beschäftigt hat. Diese Werke sucht man aber vergebens in Anmerkungen und Bibliographie, die anstelle dessen manche Bücher zweimal aufführen oder bei einigen die deutsche Ausgabe und bei anderen die englische und dergleichen mehr.

Crowe gelangt aufgrund seiner Recherchen zu der Schlußfolgerung, daß Schindler mit der berühmten Liste nichts zu tun gehabt habe, sondern daß diese alleine Marcel Goldberg verfaßt habe, der in Plaszow Häftlingsschreiber beim Arbeitseinsatzführer Franz Müller gewesen ist. Ganz anders hingegen schildert Mietek Pemper in seinem Erinnerungsbericht die Entstehung von Schindlers Liste und kann sich dabei auf seine intime Kenntnis der Vorgänge aufgrund seiner prekären erzwungenen Nähe zu Amon Göth stützen. Ihm zufolge gab es nicht nur mehrere Listen, sondern auch mehrere Personen, die an der Entstehung beteiligt waren, darunter, so Pemper, natürlich auch Schindler. Das Entscheidende sieht Pemper auch nicht in der letzten Liste, die es den 'Schindler-Juden' ermöglichte, Plaszow zu verlassen und in Schindlers nach Brünnlitz verlagerten Fabrik zu arbeiten, sondern vielmehr in all den kleinen Schritten Schindlers, die der Liste notwendigerweise vorangehen mussten: Er suchte die Nähe zu Amon Göth und hielt ihn sich durch allerlei Geschenke und Bestechungen gewogen, er verfügte über das notwendige Verhandlungsgeschick und in vielen Situationen über ein gehöriges Maß an Kaltblütigkeit oder Mut, um schließlich die offizielle Genehmigung zur Verlegung seiner Fabrik mitsamt der dort beschäftigten jüdischen Zwangsarbeiter zu bekommen. Hier kann Pempers Version ein höheres Maß an Plausibilität für sich in Anspruch nehmen, zumal er diesen einmaligen Einblick in die Geschichte des Lagers Plaszow sowie Schindlers Handeln hatte.
Weit über die Schindler-Thematik hinaus ist Pempers Bericht ein außerordentlich wichtiges und packendes Buch. Wohl kein Überlebender hatte einen derartigen Zugang bis ins Zentrum der Lagerbürokratie bis hin zu streng geheimen Vorgängen. Gestützt auf ein hervorragendes Gedächtnis und eigene Recherchen bietet Pemper eine Geschichte des Zwangsarbeitslagers Plaszow, die einmalig ist, zumal bis heute keine wissenschaftliche Monographie zu diesem wichtigen Lager erschienen ist. Hier ergänzen sich beide Bücher wieder hervorragend, denn die Lagergeschichte wird bei Crowe auf breiter Quellenbasis ausführlich geschildert und gehört zu besten Passagen des Buches.

Zurück bleibt ein scheinbar widersprüchlicher Eindruck: Auf der einen Seite eine wissenschaftliche Biographie, die aber negativ durch Geschwätzigkeit, häufige Distanzlosigkeit und manche Fehler auffällt und letztlich an ihren eigenen Ansprüchen scheitert. Auf der anderen Seite ein persönlicher Erinnerungsbericht, der durch seine Nüchternheit und tiefen Einblicke in die Lagerwelt besticht.