Die unvollendete Säkularisierung
Politik und Recht im Denken Carl Schmitts

Als Autor ist Carl Schmitt zweifelsohne seit langem rehabilitiert. Seine Thesen und Argumente werden auch von jenen ernsthaft diskutiert, die weder seine politische Verstrickung im Nationalsozialismus noch seinen zunehmend aggressiveren und paranoideren Antisemitismus leugnen oder als 'theoretisch unbedeutend' wegerklären wollen. Dieses doch recht entspannte Verhältnis zu Schmitt lässt sich an dem seit den 80ern grassierenden Linksschmittianismus ebenso erkennen wie an der steigenden Anzahl an Qualifikationsarbeiten.

Ein entspanntes Verhältnis bürgt allerdings nicht für die Qualität der entsprechenden Texte, wie die vorliegende Arbeit zeigt. Der Verf. versucht in drei Kapiteln die Doppel-These zu belegen, dass „Säkularisierung“ nach Schmitt (a) lediglich meint, eine „transzendente“ Idee mit der Wirklichkeit unvollkommen zu vermitteln und dass diese „Säkularisierung“ (b) ein unausweichlicher Bestandteil jeder Politik und somit jedes Staates ist (bes. 253).

Dies will der Verf. in drei Schritten zeigen, die sich zum einen mit zwei frühen Schriften Schmitts („Gesetz und Urteil“ und „Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen“) und zum anderen mit Schmitts „Begriff des Politischen“ auseinander setzen. Im ersten Kapitel soll gezeigt werden, dass jedes richterliche Urteil (nach Schmitt, wohl auch nach dem Verf.) immer ein Moment der „Entscheidung“ und damit der Kontingenz beinhaltet, dass es also niemals nur „Subsumption“ unter eine allgemeine Regel (das jeweilige Gesetz) ist (vgl. 35-6). Der Verf. rekonstruiert hier Schmitts Kritik am Rechtspositivismus seiner Zeit – und erweckt durchgehend den Eindruck, dass es sich hier (Schmitt vs. Kehlsen) auch heute noch um die einzig sinnvolle Alternative handelt, was einigermaßen krude ist. Das zweite Kapitel soll dann zeigen, dass Analoges auch für politische Ordnungen gilt, d.h. dass es eines „Staates“ bedarf, um die „Idee des Rechts“ in Form einer juristischen Ordnung (wiederum: unvollkommen) zu realisieren.

Mit „Säkularisierung“ hat beides insofern zu tun, als diese ja dem Verf. zufolge bei Schmitt in erster Linie die Verwirklichung eines Transzendenten bedeutet (die einzige Belegstelle für diese Lesart liefert der Verf. auf Seite 159). Und, so die These, das Urteil realisiere die transzendente Norm, so wie der Staat die transzendente „Idee des Rechts“ realisiert. Man mag das, vorsichtig formuliert, gewöhnungsbedürftig finden, aber der Verf wischt den (gebräuchlichen) Säkularisierungsbegriff (Übertragung vom Geistlichen ins Weltliche) Schmitts einfach vom Tisch.

Das dritte Kapitel liefert dann eine Erklärung des Zwecks des Begriffs der „Säkularisierung“, den Schmitt dem Verf. zufolge verwendet: Weil er, wie Hobbes, die „indirekten Gewalten“ bekämpfen wollte. Dabei lässt der Verf nicht nur die offensichtlich antisemitische Kernaussage von Schmitts „Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes“ unbeachtet, er liest auch Schmitts Bemerkungen zur fehlerhaften Einführung der Unterscheidung von privat und öffentlich falsch bzw. tendentiös (vgl. 199 f.): Er lässt vollkommen unbeachtet, dass Schmitt im „Begriff des Politischen“ (Berlin 2002, 46) eindeutig sagt, dass jeder Staat „von Angehörigen des eigenen Volkes Todesbereitschaft und Tötungsbereitschaft“ verlangen können müsse – und DAS kann er nicht, wenn er ihnen einen freien „Innenraum“ der privaten Überzeugung einräumt. Vergleichbar gilt für Schmitts Liberalismuskritik, die der Verf. ebenfalls vollkommen unkritisch nachbetet (110, 205 ff, 223), dass hier die eigentliche Pointe fehlt: Schmitts Vorschlag zur Lösung des durch die politischen Ideologien entstandenen Problems der „absoluten Feindschaft“ lautet ja, dass man die Feindschaft „begrenzen“ müsste – und dies meint eine räumliche Begrenzung, d.h. eine Anerkennung „autochthoner“ Völker als Akteure des Politischen (eine Lektüre der „Theorie des Partisanen“ hätte hier geholfen, obwohl eine aufmerksame Lektüre des „Begriffs des Politischen“ wohl auch hingereicht hätte). Es muss allerdings bemerkt werden, dass der Verf. sich durchgängig Schmitts allesamt tendentiösen und teils schlicht verfälschenden 'Deutungen' und 'Diagnosen' seiner Gegenwart zueigen macht (zumindest referiert er sich ohne jede kritische Anmerkung, so bspw. auf Seite 192: der „durch die aufklärerische Geschichtsphilosophie in Gang gesetzte Niedergang der Gegenwart“).

Ein wesentliches Problem dieser Arbeit ist, dass sich der Leser diese Aussagen im Grunde selbst erarbeiten muss, denn  die Argumentation ist oft unklar, weil sie teils in schlicht unverständlichen Jargon abgleitet und oft keine klaren Thesen erkennen lässt. Zu einem nicht geringen Teil liegt das Problem dieser insgesamt mangelhaften Arbeit sicherlich in handwerklichen Unzulänglichkeiten, was sich einerseits in dem unter dem Niveau einer studentischen Arbeit liegenden Umgang mit Sekundärliteratur zeigt. Andererseits zeigt es sich im Umgang mit Begriffen und Theorien (nur als Beispiel: „Der kantische Angriff gegen den ontologischen Gottesbeweis versuchte die Vorstellung zu eliminieren, dass das, was ich rational hervorbringe, auch sein soll.“ [120]). Ganz besonders deutlich wird dies in der Auseinandersetzung mit Blumenbergs Kritik an Schmitt (177ff, 193). Im Ergebnis ist die Arbeit eine viel zu lange, viel zu unverständliche, viel zu unklare und vor allem viel zu unkritische Rekonstruktion einer Theorie, die von ihrem Autor doch an vielen Stellen erfreulich klar formuliert wurde. Als Interpretation ist sie folglich untauglich.

Zudem kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier im Gewand einer Interpretation eine Rechtfertigung der Thesen Schmitts geliefert werden soll (was schon methodisch Unfug ist). Der Verf. hält abschließend fest: „Meine Schlussfolgerung bezüglich der grundlegendsten Bedeutung von Schmitts Säkularisierungsbegriff zeigt, dass die Verleugnung der Konflikte den Kontingenzgrad und damit das Risiko der Antagonismen erhöht. Die Auslassung oder die Verhüllung des Konflikts verhindert dessen Begrenzung.“ (253) Hierzu zwei Anmerkungen: Erstens „zeigt“ weder der Verf. noch sein Text dies, es steht also eine bloße (im Übrigen doch etwas überraschend daher kommende) Behauptung im Raum. Zweitens ist eine solche, positive Schmitt-Lesart alles andere als neu, Chantal Mouffe und andere argumentieren (übrigens, nach Mouffe, auf diese Weise „mit Schmitt“, aber eben auch „gegen Schmitt“) so schon seit knapp dreizig Jahren – und dies eindeutiger, klarer und ehrlicher. Als Beitrag zu aktuellen Debatten taugt die Arbeit folglich auch nicht.