Dass man Hegels Philosophie gut und gerne 'zu den letzten Versuchen, das Selbstverständnis des modernen Staates und der Moderne überhaupt von der Religion aus in affirmativer Weise zu reflektieren', rechnen kann, wie Christian Iber in seinem Aufsatz 'Über Religion, Staat und Gesellschaft bei Marx mit Blick auf Hegels Rechtsphilosophie' (133-147, hier: 133) betont, ist sicherlich eine auch außerhalb der Hegel-Forschung im engeren Sinne akzeptierte Deutung der Hegelschen Philosophie. Sie scheint in jedem Falle die mehr oder weniger unhinterfragte Grundannahme aller Beiträge dieses Bandes zu sein, wobei auffällt, dass sich nur selten kritische Anmerkungen zu diesem Projekt finden ' die meisten AutorInnen gehen anscheinend davon aus, dass ein derartiger Ansatz vielleicht wenig zeitgemäß, trotzdem aber wohl nicht allzu problematisch ist.
Hervorzuheben sind vor allem die Beiträge von Walter Jaeschke ('Es ist ein Begriff der Freiheit in Religion und Staat', 9-23) und Jindřich Karásek ('Staat, Religion und Kirche bei Hegel', 65-83), denn beiden gelingt es, das Hegelsche Idiom in moderne Terminologie zu übertragen und so die Kernthesen pointiert zu explizieren (dass dies keine selbstverständliche Leistung ist, zeigen Lu de Vos' 'Religion ' Staat ' Geschichte bei Hegel (1827 ' 1831)', 37-57 und Günter Krucks 'Der Begriff der Religion in Hegels Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften', 57-65). Vor allem Jaeschke gelingt es auf klare Weise, Hegels scheinbar ambivalente Haltung zum Verhältnis von Religion und Staat dahingehend 'aufzulösen', dass Hegel zwar jede Religion, insofern sie 'Kirche' ist, dem Staat subordiniert und in Abhängigkeit von ihm setzt, dass er aber davon Religion als Einstellung oder Glauben unterscheidet, von der ' als 'Gesinnung' ' wiederum der Staat in einer gewissen Weise abhängig ist (15, 21). Diese grundlegende Unterscheidung Hegels wird allerdings auch in den anderen Beiträgen häufig thematisiert, wenngleich sie bei Jaeschke am deutlichsten formuliert wird. Allerdings fehlen hier einige klärende Worte zu Hegels Begriff der 'Gesinnung', der von Otto Kallscheuer ('Hegels Theorie der Säkularisierung', 109-121) immerhin (wenn auch nicht gänzlich überzeugend) in Auseinandersetzung mit Rousseaus 'religion civile' als 'eine Überwindung des protestantischen Landeskirchentums unter Beibehaltung seines Ethos' näher bestimmt wird (118).
Insgesamt fällt auf, dass die meisten Beiträge jegliche Einbeziehung kritischer Gegenpositionen auslassen und so nicht selten den Eindruck erwecken, dass Hegels These, jeder Staat sei auf eine quasi-religiöse Anerkennung seiner Autorität durch Verankerung seiner rechtmäßigen und notwendigen Existenz und Befehlsgewalt in der 'Gesinnung' seiner Bürger angewiesen, richtig ist. Wenn etwa Karásek seinen Aufsatz mit dem Hinweis beschließt, dass zwar 'die Hegelsche metaphysische Auffassung des Staates dem heutigen Zeitgeist nicht entspricht', dass aber dies 'über ihre Wahrheit überhaupt nichts' aussage, da diese immer noch mit Argumenten und nicht mit 'Akkomodationen an den heutigen common-sense' verhandelt werden müsse (82), dann hätte der geneigte Leser doch wenigstens ein oder zwei dieser Argumente Hegels erfahren, die ja nach Karásek angeblich 'nichts von ihrer Aktualität' verloren haben sollen (ebd.). Dass wiederum de Vos' seiner These, die Auflösung des kritischen Verhältnisses von Staat und Religion geschehe bei Hegel 'also philosophisch' und 'dadurch nicht notwendig schon im alltäglichen Rechts- und politischen Bewusstsein' (55), keine weitere Diskussion dieses für eine Rechtsphilosophie doch eher unbefriedigenden Ergebnisses folgen lässt, darf wohl selbst als einigermaßen 'unbefriedigend' bezeichnet werden.
In dieser Hinsicht ist Kallscheuers Beitrag hervorzuheben, der Hegels Theorie der Säkularisierung letztlich als nur 'eine Variante des kontinentaleuropäischen Weges ' vom konfessionellen Staat hin zu einer nur mehr säkularen Staatsräson' gelten lässt (119) und abschließend zudem (berechtigte) Zweifel formuliert hinsichtlich der seiner Ansicht nach bei Hegel zu findenden These, eine '(national)staatlich gesteuerte Säkularisierung' wäre das adäquate Heilmittel zu Stabilisierung staatlicher Institutionen in Krisenzeiten (120). Ob allerdings eine Interpretation Hegels (oder irgend einer beliebigen) Säkularisierungstheorie vor dem Hintergrund von Löwiths 'Weltgeschichte und Heilsgeschehen' (111, 115) wirklich dazu angetan ist, grob schematische und im schlimmsten Sinne 'idealisierende' Entwürfe einer 'großen Weltgeschichte' kritisch zu reflektieren, steht freilich auf einem anderen Blatt ' schließlich stellt Löwiths Text ja selbst einen solchen Entwurf dar (dasselbe gilt für ein Übernahme der Kerngedanken von Carl Schmitts Rezensionsaufsatz 'Die vollendete Reformation', vgl. 112).
Die beiden letzten Beiträge (der bereits erwähnte Aufsatz von Christian Iber sowie Andreas Arndts 'Staat, bürgerliche Gesellschaft und Religion. Anmerkungen zu Hegel und Walter Benjamin', 147-157) haben das Verdienst, die enge Fokussierung auf Hegel und die immer wieder behandelte These von der notwendigen Unterscheidung von 'Kirche' und 'Religion' (und analog dazu 'Katholizismus' und 'Protestantismus') zugunsten einer Untersuchung von Versuchen kritischer Anknüpfung an Hegel aufzulockern.
Insgesamt merkt man den meisten Beiträgen an, dass sie auf der Grundlage von Vorträgen geschrieben wurden, manch einer erweckt sogar den Eindruck, ein mehr oder weniger 'originaler' Abdruck eines Vortrages zu sein. Das erklärt zumindest die bisweilen doch etwas arg über den Texten schwebenden Interpretationen (die ja deswegen nicht notwendig falsch sein müssen). Zu wünschen wären dem Band allenfalls ein paar deutlich kritischere Stimmen gewesen, um den so entstandenen Eindruck 'gut' hegelianischer 'Versöhnung' etwas zu kontrastieren ' denn selbstverständlich ist Hegels These, dass Religion und Staat letztlich in demselben Freiheitsverständnis gründen, nun wirklich nicht.