Das unsterbliche Gerücht
Die Frage nach Gott und die Täuschung der Moderne

In den philosophischen Debatten über Religion im allgemeinen und Gott im besonderen treten zwar vielfach AutorInnen auf, die eine offene bis affirmative Haltung zur Religion verkörpern, aber selten verbindet sich dies mit einem expliziten Bekenntnis zu einer bestimmten Religion. Dies hat nicht selten zur Folge, dass dasjenige, was dann unter dem Titel 'Religion' verteidigt oder gar gerechtfertigt wird, selten unscharf bleibt.
Dies ist bei Robert Spaemann definitiv nicht der Fall, er bekennt sich nicht nur als Privatmann zum Christentum römisch-katholischer Konfession, sondern die hier gesammelten philosophisch motivierten Ausführungen zu Gott, dem 'unsterblichen Gerücht', greifen auch stark auf dieser Tradition entstammende Argumente und Ideen zurück. In dieser Hinsicht, vermittelt das Gespräch mit David Seeber ('Über die gegenwärtige Lage des Christentums', 225ff.), neben einer Art 'Zusammenschau' des Bandes, einen guten Eindruck von Spaemanns 'katholischem Profil'.
Vor diesem Hintergrund ist es dann auch wenig überraschend, das Spaemanns Kernthese konstatiert, dass die 'Täuschung der Moderne' (so der bezeichnende Untertitel) darauf hinausliefe, dass die 'säkulare Vernunft' in Form der modernen Naturwissenschaft sowie der säkularen Moral hinreichende Antworten auf die existentiellen Fragen des Menschen, etwa nach dem 'Sinn' bestimmter 'kontigenter' Ereignisse, zu geben in der Lage sei. Stattdessen, so Spaemann, habe die säkulare Vernunft lediglich eine das natürliche Leben nicht vollständig erfassende, weil alles 'funktional' betrachtende Naturwissenschaft (54f.) sowie eine ausschließlich 'zweckrationale' Moral im Angebot. Kurz: Ohne die Existenz Gottes sind wir keine 'Personen' mehr, also keine selbstbestimmt und 'sich selbst transzendierend' handelnde Lebewesen, sondern wir sind reine Funktionen einer sinn- wie ziellosen Natur (u.a. 90f., 103ff.).
Die immer wieder bemühte Grundlage von Spaemanns Argumentation ist seine Unterscheidung von 'Innen' und 'Außen', d.h. von subjektiver Perspektive der Selbstwahrnehmung und objektiver Perspektive wissenschaftlicher Betrachtung (etwa 7ff., 47f., 170). Ein wirkliches 'Verstehen' der Religion bzw. des religiösen Bewusstseins, so Spaemanns Argument, lässt sich nur aus der 'Innenperspektive' erreichen, denn nur so sind die Phänomene religiöser Erfahrung und das Verständnis der existentiellen Bedeutung religiöser Weltbilder nachvollziehbar. Wer nicht religiös ist, so die Unterstellung, kann das Phänomen Religion nicht adäquat erfassen, geschweige denn verstehen (106f.).
Das liegt nicht zuletzt daran, dass nach Spaemann die 'Außenperspektive' notwendig die der Wissenschaft ist, wobei 'Wissenschaft' hier in erster Linie auf Naturwissenschaften begrenzt wird. Zusätzlich unterschiebt Spaemann diesem Projekt 'Wissenschaft', dass es 'Verstehen' auf 'Simulieren können' reduziere, was in seine Ausgangsthese hineinspielt, dass man bekanntlich nicht simulieren könne 'wie es ist, ein Bakterium oder eine Fledermaus zu sein' (57). Was wiederum bedeute, dass bestimmte Phänomene (wie eben die Religion) nicht 'von außen' erfasst werden könnten.
Nun ist dieser Wissenschaftsbegriff, der zudem mit einer fast schon klischeehaften Gegenüberstellung von Geistes- und Naturwissenschaften arbeitet (vgl. 54ff.), alles andere als unproblematisch oder auch nur naheliegend. Weder wird klar, in welchem der beiden Felder etwa die in Bezug auf unser Selbstverständnis doch recht bedeutsamen Sozialwissenschaften anzusiedeln wären (nach Spaemann wohl bei den Naturwissenschaften, vgl. 103ff.), noch leuchtet es ein, den reinen Naturwissenschaften zu unterstellen, alles was sie interessiere sei die 'Simulierbarkeit'. Richtig ist, dass Experimente zur Gewinnung von Daten und Prüfung von Theorien gerade in Physik und Chemie ein hoher Stellenrang zukommt, trotzdem ist die Reflexion auf die zum Verständnis dieser Daten notwendigen Theorien und ihren fundierenden und für das Verständnis konstitutiven Charakter durchaus vorhanden, der Philosoph braucht hier (wie sonst) den Naturwissenschaftler nicht schulmeisterlich zu rüffeln; vor allem dann nicht, wenn er durchgehend den Unwillen erkennen lässt, sich ernsthaft mit dessen Tätigkeit auseinanderzusetzen. Vollends albern wirkt dieser Gestus zudem, wenn man, wie Spaemann 58ff., den Biologen cum grano salis 'Funktionalismus' als Grundhaltung und -methode unterstellt. Man wird an solchen Stellen das Gefühl nicht recht los, hier wolle der Philosoph mit Hilfe von Holzschnitten allzu leichte Gewinne gegenüber seinem argumentativen Gegner machen ' wenn dieser denn jenseits der Holzschnitte überhaupt vorhanden sein sollte.
Das ist insofern nicht unbedeutend, weil Spaemanns Argument, wir brauchten Gott, um uns als Personen verstehen zu können, wesentlich von dieser Abgrenzung ausgeht: Nur wenn die Alternative 'Religion oder Naturwissenschaft' im oben beschriebenen Sinne gälte, wäre Spaemanns Argument, dass Person-Sein nicht derart naturwissenschaftlich 'einholbar' ist, ein Argument für die These, dass es 'ohne Gott nicht geht'.
Es ist im übrigen ebenso unklar, warum wir uns ohne Gott nur noch 'als geschicktes Tier' verstehen können (53), wie es nur schwer nachvollziehbar ist, dass genau dies das Projekt der Moderne, sofern sie nicht christlich ist, sein soll, auch wenn Spaemann (etwa ebd.) dies immer wieder behauptet (und dies unabhängig von der Frage, was genau damit denn gemeint sein könnte).
Dagegen schlicht den 'Dualismus' von 'Innen' und 'Außen' als unhintergehbar zu setzen (62), erscheint vor diesem Hintergrund in jedem Falle nicht als Lösung, sondern eher als Ausflucht. Zumal auch an dieser Stelle Spaemanns These, die (christliche) Schöpfungsidee löse das Problem der Unüberwindbarkeit dieses Dualismus (ebd.), nicht recht einleuchtet ' denn weder ist es sonderlich plausibel anzunehmen, dass Gott eben ein derart 'dualistisch' angelegtes Leben habe schaffen wollen (die ärgerlichen Spätfolgen wie etwa diverse, höchst unsinnige philosophische Debatten entweder übersehend oder ignorierend) noch ist damit eine Lösung erreicht. Es wird schlicht postuliert, man habe das einfach so hinzunehmen, anders gehe es nun einmal nicht ' ohne Gott keinen 'Sinn', ohne Natur kein Organismus. Das Spaemann nicht einmal ansatzweise jenseits dieser Alternative liegende Ansätze, wie sie der moderne Pragmatismus im Gefolge Wittgensteins oder einige Ansätze innerhalb des Neo-Aristotelismus bereithalten, zu Kenntnis nimmt, passt insofern ins Bild; obwohl die These alles andere als selbstverständlich ist, dass es eine nur dem erlebenden Subjekt zugängliche Sphäre des 'privaten Erlebens' gibt, die diesem zwar Subjekt Erkenntnisse ermöglicht ('Es gibt einen Gott!', etc.), aber dennoch den rein privaten Erlebnischarakter nicht verliert, so dass die dort gewonnenen Erkenntnisse den privaten Raum gewissermaßen nicht verlassen. Es wäre dann zu klären, wie sich religiöse Menschen über die Beschaffenheit ihrer jeweils radikal privaten Erlebnisse miteinander verständigen können? Und, falls sie es können, wieso diese Verständigung nun zwischen ihnen gelingt ' obwohl hierfür ja eine Versprachlichung in einer nicht-privaten Sprache die notwendige Voraussetzung ist? An dieser Stelle wäre eine detailliertere Argumentation sicherlich wünschenswert gewesen.
Vergleichbares ließe sich zu Spaemanns Person-Begriff und seiner These, ohne eine vorausgesetzt Sinn und Wahrheit stiftende Instanz (Gott) sei dieser nicht denkbar, anführen. Es bleibt durchgängig unklar, warum 'Sinn' wie 'Wahrheit' durch eine transzendente Person gestiftet werden müssen ' 'Sinn' ist eine Kategorie zur Orientierung in der Welt und als solche sicherlich an das Person-Sein gebunden (warum sollte ein Stein nach dem Sinn von etwas fragen?). Aber es ist durchaus nicht selbstverständlich, dass dieser Sinn der Person vorgegeben sein muss, wie Spaemann unterstellt. Vielmehr scheint es doch so zu sein, dass Sinngebung wesentlich an das Leben und die Kompetenz des jeweils Einzelnen, dies zu bewältigen, gebunden ist. Und 'Wahrheit' einfach auf Gott abzuschieben (was freilich Voraussetzung ist für Spaemanns Adaption von Hans Jonas' 'Gottesbeweis', vgl. 35ff.), erscheint auch nicht als Lösung. Zumal Spaemann sich nicht hinreichend klar darüber äußert, in welchem Sinne denn noch von (vermeintlich absoluter) Wahrheit geredet werden könne, wenn man schon 'Innen' und 'Außen' als unvermittelbare und inkommensurable, aber gleichwohl 'gleich wahre' Seinssphären behauptet.
Das Schematische, das eigentlich allen Texten dieses Bandes gemeinsam ist, mag dem Umstand geschuldet sein, dass es sich um eine Sammlung an verschiedenen Orten erschienener oder vorgetragener Texte handelt. Gleichwohl entbindet auch dies nicht von dem Vorwurf, dass Spaemann ein grundsätzlich unterkomplexes Bild der (philosophischen) Alternativen zur Beschreibung der conditio humana zeichnet, aus dem dann, wie Phönix aus der Asche, der liebe Gott triumphierend wieder auferstehen kann. Welche Moderne sich hier getäuscht haben könnte, bleibt leider offen. Was genau wir mit der Existenz von Spaemanns Gott gewinnen, ebenso.