An ihr schieden sich die Geister. Für die einen – so für Friedrich Schiller und seinen Kreis – war sie die „Dame Luzifer“, „der große Teufel“, „das verworfene Geschöpf“, für die anderen eine „geistreiche Frau“ mit „ausgezeichneten Eigenschaften und Talenten“. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling sprach von Caroline als dem „seltenen Weib von männlicher Seelengröße, von dem schärfsten Geist, mit der Weichheit des weiblichsten, zartesten, liebevollsten Herzens vereinigt“. Er proklamierte, angeregt durch sie, die Verbindung von Männlichem und Weiblichem zur „vollen ganzen Menschheit“. Eine „politisch-erotische Natur“ nannte er diese Frau, die ihre „Privatbegebenheiten“ in die Stürme einer großen Revolution verwickelte: Caroline Schelling, geborene Michaelis, verwitwete Böhmer, geschiedene Schlegel, hat wie wenige Frauen der deutschen Geistesgeschichte die Phantasie der Zeitgenossen und der Nachgeborenen beschäftigt. Richarda Huch widmet ihr ein Kapitel in ihrer zweibändigen Studie über die Romantik (1899/1902):
„Sie wusste, dass sie sich irren, nie aber sich selbst verlieren konnte. Sie besaß den glücklichen Instinkt der Nachtwandler, die nicht stürzen, wenn man sie nur ruhig gehen lässt. Auch die Fehltritte, die sie tat, und die Irrwege, die sie wählte, mussten ihr dienen. Um nichts dürfte man sie mehr beneiden als um dies Talent zur Bildung des Lebens, wenn man diesen Ausdruck gebrauchen kann, das einem in jedem Schicksal Zuversicht verleiht, weil man im Grunde um den letzten Ausgang nicht besorgt ist.“
Auch Schlegel-Schellings Stellung gegenüber der Romantik charakterisiert die Nachgeborene „Sie war nicht eigentlich ein romantischer Charakter mit sonderbaren Mischungen, Dämmerungen, Rätseln, sondern ihr Wesen war die Sicherheit und Ruhe der Harmonie, und es ließe sich auf sie anwenden, was Friedrich Schlegel in seiner ‚Lucinde’ von der kleinen Wilhelmine sagt: ‚Der stärkste Beweis für ihre innere Vollendung ist ihre heitere Selbstzufriedenheit’.“
Als überragende Briefautorin ist Caroline in die Literaturgeschichte eingegangen, in zahlreichen Romanen taucht ihr Bild auf. Sie gilt als jene „großartig[e] Vermittlerin von Geist und Geistern der deutschen Romantik“ um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert. „[Die Autorin führte ein] umgetriebenes, ein emanzipiertes, ein abhängig-unabhängiges Leben, mit der Fähigkeit, vielen zu missfallen und ebenso viele zu faszinieren: ‚Etwas der Art kommt nie wieder!’ Die Epoche kam nie wieder, nicht die Jenaer Romantik, deren guter Geist Caroline im entscheidenden Augenblick war“ („Die Tat“, Zürich).
Offenbar fasziniert sie noch immer, wie gleich drei neue Publikationen anlässlich ihres 250. Geburtstags im September 2013 zeigen. Brigitte Roßbeck veröffentlichte im Pantheon Verlag die Biografie „Zum Trotz glücklich“ (368 Seiten, 14,95 Euro, ISBN 978-3-570-5508-4); Sabine Appel trifft den Kern von Carolines Persönlichkeit mit dem Untertitel „Das Wagnis der Freiheit“; und Barbara Sichtermann, EMMA-Leserinnen durch ihre Serie „Herrscherinnen“ bekannt, schreibt über „ein freies Frauenzimmer“.
Die bekannte Romantikerin war die Tochter eines Göttinger Professors Michaelis und, im Jahre 1763 geboren, „fast noch ein Kind des ancien régime, aufgeklärt und verständig, in ihrer frühen Jugend sogar ein wenig sentimental“. Wie sie in einem Brief an ihre Freundin Luise Gotter ihre Verlobung und Hochzeitsfeier beschreibt, bei welcher Gelegenheit man das junge Paar in bekränzte und mit Versen geschmückte Lauben führte, „das mutet wie Klopstock und Wieland an“. „Aber wenn einmal von Zeit zu Zeit ein heller, starker Naturlaut durchbricht, so spürt man, dass diese Merkmale eines ausgehenden Zeitalters ihr nur angeflogen sind durch Beispiel und Sitte, die auf einen harmonischen Charakter stark zu wirken pflegen“ (Huch). Schon früh ist sie – in einer Zeit, die vieles zur Disposition stellte – ihrem eigenen Lebensgesetz gefolgt. Ihre Seelenverwandten waren die ‚jungen Wilden’ der Literatur, die um 1800 eine neue Dichtung, eine neue Philosophie und ein neues Lebensgefühl propagieren.
„Freiheit mit Nebenwirkungen“ – diese Formulierung im Klappentext von Appels Biografie definiert recht gut die Gefährdung, der Caroline ausgesetzt war. Freiheit ist ein Risiko, besonders für eine Frau. Caroline ließ tradierte weibliche Rollenbilder und -vorstellungen mit großem Mut hinter sich, um ihr eigenes Leben zu führen, unzeitgemäß und intensiv. So schied sie die Geister.
Schon ihre Jugend ist außergewöhnlich. Die Professorentochter verbrachte die ersten Jahre im Umfeld der Göttinger Universität, umgeben von illustren Vertretern der Aufklärung. Es folgten Konventionsehe, Begrabensein im Harz, Witwenschaft und Neuanfang. Sie stürzt sich in das Abenteuer der Mainzer Republik, liest Condorcet und Mirabeaus Briefe aus dem Kerker, hat freundschaftliche Verbindung zum Forscher und Weltreisenden Georg Forster und ist Zeugin seiner belastenden Ehe mit Therese Huber. Caroline nimmt die Freiheitsparolen wörtlich – mit allen Folgen: einer verheimlichten unehelichen Schwangerschaft (Carolines Haft in Kronberg gehört ins düsterste Kapitel ihrer Biografie), dem Experiment der freien Liebe und einer Wohngemeinschaft, die wenig später an den unvereinbaren charakterlichen Gegensätzen ihrer Bewohner scheiterte. Das hängt auch mit Carolines Haltung zusammen, die bitter erfahren musste, welche Rolle man ihr als Frau zuwies: „Man schätzt ein Frauenzimmer nur nach dem, was sie als Frauenzimmer ist.“
Ihre Rolle als große geistige Anregerin erfuhr in der Ehe mit Schelling (1803 geschlossen) nochmals einen Höhepunkt. Ihre Briefe dokumentieren ein ungewöhnliches Leben; es genügte Caroline nicht, sich anzupassen, sie unterdrückte ihre Sehsüchte nicht, meisterte vorurteilsfrei ihr Leben. Ihre Briefe berichten „vom Wachhalten einer weiblichen Utopie, von der ‚Kunst zu leben’ im Sinne von Novalis, der denjenigen einen großen Menschen nennt, dessen persönliche Dokumente, Tagebücher bzw. Briefe die größten Kunstwerke sind“ (Sigrid Damm).
Zwei Texte über eine widerständige weibliche Existenz, zwei Zugangsweisen. Appels Text ist genau und sorgfältig erarbeitet, eine eingehende Untersuchung, die viele Aspekte nicht nur streift, sondern ausführlich behandelt. Sichtermanns Caroline-Biografie ist kürzer und kurzweiliger, krankt jedoch an sprachlichen Schludrigkeiten, die verärgern und möglicherweise durch ein kritischeres Lektorat hätten vermieden werden können. Passagen wie „Sie findet dort die gewünschte Ruhe nicht. Klartext: Mit Fritz kommt sie keineswegs so gut aus wie erhofft“, „Allenfalls der herzensgute Ehemann und die Aussicht, Mutter zu werden, spenden Trost“ oder „Das Mädchen hing am extrovertierten Vater, das Verhältnis zur Mutter, die als ein rechter Griesgram geschildert wird, war angespannt“ sind nicht durchdacht, sondern einfach hingeschrieben.
Zum Vergleich Appel, die über den „Griesgram“, Carolines Mutter, Folgendes schreibt:
„Louise Philippine Antoinette Schröder, war die zweite Frau des Professors, zweiundzwanzig Jahre jünger als er. […] Doch diese Mutter war freudlos, nervenschwach und latent depressiv, wenig mit mütterlicher Wärme gesegnet, dafür aber von rigider Strenge und übertriebener Ordnungsliebe. Ihre Verfassung hatte vielleicht auch nicht wenig mit den neun Schwangerschaften zu tun, die sie in relativ kurzer Folge durchlebte. Von einer Liebesheirat mit dem Professor konnte schwerlich die Rede sein. Sie war die Tochter des Göttinger Oberpostcommissarius, und sie brachte Vermögen mit in die Ehe, nachdem Michaelis’ erste Frau Friederike, von der er bereits einen Sohn hatte, nach zehnjähriger Ehe gestorben war. Die nervenschwache, allen Aufregungen abholde Mutter und der leicht aufbrausende Vater, deren Verbindung doch immerhin äußerst fruchtbar war, zwischen denen aber auch eine ganze Generation stand und ein beträchtlicher Temperamentsunterschied, arrangierten ihr Zusammenleben einschließlich Kindern, Hauswirtschaft und Lehrbetrieb so, dass die Lebensbereiche völlig getrennt waren, was aufgrund der großzügigen Verhältnisse im weiträumigen Haus ohne weiteres möglich war.“
Der weibliche Körper als Schicksal – Grund genug „griesgrämig“ zu sein. Außer Caroline überlebten lediglich drei weitere Kinder aus dieser Ehe.
Sichtermanns sechsteilige Serie über „Herrscherinnen“ in der EMMA (2009/10) sind sprachlich besser gemeistert. Sie zeigt, was die Autorin wirklich kann, nicht aber ihr „freies Frauenzimmer“. Unübertroffen – noch immer – die Biografie von Eckart Kleßmann: „Caroline. Das Leben der Caroline Michaelis-Böhmer-Schlegel Schelling“ aus dem Jahr 1979 (zuerst 1975 veröffentlicht unter dem Titel „Ich war kühn, aber nicht frevelhaft. Das Leben der Caroline Schlegel-Schelling“).
Autorin: Sabine Appel,
Titel: “Caroline Schlegel-Schelling. Das Wagnis der Freiheit. Eine Biografie“
Verlag: C. H. Beck
Erscheinungsort: München 2013
287 Seiten
ISBN: 978 3 406 64626 3
Preis: 19,95 Euro
Autorin: Barbara Sichtermann
Titel: „Ein freies Frauenzimmer. Caroline Schlegel-Schelling“
Verlag: Edition Ebersbach
Erscheinungsort: Berlin 2013
138 Seiten
ISBN: 978-3-86915-066-6
Preis: 15,80 Euro