Der Zeuge seines Landes. Zu einer Biographie des US-amerikanischen Schriftstellers James Baldwin
Die Nobelpreisträgerin Toni Morrison (die Baldwins Texte lektorierte, bevor sie selbst eine angesehene Schriftstellerin wurde; sie war mit dem Autor befreundet) erklärte einmal: „Du hast mir eine Sprache gegeben, in der ich wohnen kann.“ Das ist viel, und es ist nicht selbstverständlich. Beide wissen: Schwarz Sein in einer Welt der White Supremacy bedeutet eine Erniedrigung (ein immer noch aktuelles Thema; man denke nur an die Ermordung George Floyds durch einen Polizisten im Jahre 2021. Und als wäre es eine Nachricht von heute: Nachdem ein weißer Polizist einen Schwarzen erschossen hatte, kam es in Harlem 1943 zu Ausschreitungen), es bedeutet, in einer Gesellschaft leben zu müssen, die es „fertigbringt, Menschen von dem minderwertigen Status, den sie ihnen zugewiesen hat, auch noch zu überzeugen; sie besitzt die Macht und die Waffen, ihr Diktum in eine Tatsache zu überführen, wodurch im Hinblick auf gesellschaftliche Zustände die angeblich Minderwertigen tatsächlich zu solchen gemacht werden. Das Phänomen ist heute weniger offensichtlich als zu Zeiten der Leibeigenschaft, aber nicht weniger unerbittlich. Damals wie heute sind wir, zunächst äußerlich, dann innerlich, an unsere Kategorisierungen gebunden“, schreibt James Baldwin in seinem Essay „Jedermanns Protestroman“ aus seiner 1955 veröffentlichten Essaysammlung „Notes of a Native Son“ (James Baldwin, Von einem Sohn dieses Landes. „Notes of a Native Son“, dtv Verlagsgesellschaft, München 2022, 260 Seiten, ISBN 978-3-423-29009-8), hervorragend übersetzt von Miriam Mandelkow (die auch mehrere Romane Baldwins übersetzt hat). In seinem Essay „Autobiographische Anmerkungen“ berichtet er, was die Konsequenz des Lebens in einer falsch eingerichteten Welt für ihn bedeutet – und somit für jeden Schwarzen/jede Schwarze: „Jedenfalls weiß ich, dass die wichtigste Phase meiner Entwicklung die war, in der ich wohl oder übel einsehen musste, dass ich eine Art Bastard des Westens bin; blickte ich in meine eigene Vergangenheit zurück, fand ich mich nicht in Europa wieder, sondern in Afrika. Und das bedeutete auf subtile und zugleich profunde Weise, dass ich Shakespeare, Bach, Rembrandt, den Steinen von Paris, der Kathedrale von Chartres und dem Empire State Building eine besondere Haltung entgegenbrachte. Das waren nicht wirklich meine Schöpfungen; in ihnen könnte ich auf ewig vergeblich nach einer Spiegelung meiner selbst suchen. Ich war ein Eindringling, dies war nicht mein Erbe. Gleichzeitig hatte ich kein anderes Erbe, auf das ich mich womöglich hätte berufen können – jedenfalls war ich denkbar ungeeignet für den Dschungel oder das Stammesleben.“ Es blieb ihm nichts anderes übrig, sich diese Weiße Geschichte anzueignen. Denn was blieb ihm, wenn er seine eigene Geschichte als Schwarzer zurückverfolgt? – „ein Katalog der Gewalt“ und das Versteigerungspodest; was davor war, ist als kollektives und individuelles Wissen verschüttet: durch den Verkauf von Familienmitgliedern, die bewusste Zerstörung von Zusammengehörigkeit, durch die bewusste Durchmischung unterschiedlicher Schwarzer Völker, um jeden Widerstand zu ersticken.
White Supremacy: Das ist das Stichwort. Es bedeutet: „Das amerikanische Bild des Schwarzen lebt auch im Herzen des Schwarzen, und wenn er sich diesem Bild ergeben hat, kennt das Leben keine andere Wirklichkeit.“ Baldwin handelt diese Problematik an Richard Wrights 1940 veröffentlichten Roman Sohn dieses Landes ab (der Titel von Baldwins Essays Notes of a Native Son ist eine Anspielung an Wrights Romantitel). Für Baldwin ist Bigger Thomas, der Protagonist im Roman Wrights, Onkel Toms Nachfahre. Gemeint ist: Beide Romane – der von Harriet Beecher Stowe (Onkel Toms Hütte ist ein sehr schlechter Roman, der in seiner selbstgerechten, tugendhaften Sentimentalität viel mit Little Women gemein hat.“) und von Wright ‒ sind Thesenromane, d. h. es werden Typen dargestellt, die nicht realen, wirklichen Menschen entsprechen. Wirkliche Menschen darstellen d. h., erfinden: Das ist das Gegenteil eines Thesenromans oder eines „Protestromans“, so Baldwins Begriff. Von dieser Art literarischem Aktivismus will er sich absetzen.
In seinem Porträt skizziert René Aguigah das Leben James Baldwins, von seiner Armutskindheit in Harlem bis zur Flucht vor der täglichen Bedrohung und Gefährdung nach Paris, seinem Aufstieg zu einem berühmten Schriftsteller und Redner; er war mit Martin Luther King und Malcolm X befreundet, mit Maya Angelou, aber auch mit Marlon Brando. Aguigah berichtet von Baldwins Reden und Fernsehinterviews; von seiner Erkrankung an Kehlkopfkrebs und Tod: Zu viele Partys, zu viele Zigaretten. (Die Fotos, auf denen er anmutig mit der obligatorischen Zigarette in der Hand, posiert, täuschen über das Problem dieser Sucht). „Der Zeuge“ – er nannte sich selbst einen Überlebenden (in seinem Vorwort zu einer Neuausgabe seiner Essays im Jahre 1984) – das ist ein Mann, der doppelt gefährdet war: Als Schwarzer in einer Weißen Kultur – und als Homosexueller in einer Homophoben Welt. Aguigah geht in seinem biographischen Essay (ich möchte seine fundierte Arbeit keine bloße Biographie nennen) – ausgehend von einer intensiven Analyse des Werkes von Baldwin - auf die Suche nach dem, was Baldwin uns heute noch zu sagen hat; warum er – und wieder – erschreckend aktuell ist: Der Schriftsteller analysiert die gesellschaftlichen Kräfte in seinem Land, die scheinbar mit der Wucht einer Naturgewalt auf Schwarze Existenzen einwirkten – und immer noch einwirken, wie der jüngsten Ereignisse zeigen, und trotz eines Schwarzen Präsidenten.
„Sollte ich versucht haben, mich selbst zu entdecken – alles in allem, bei näherem Hinsehen, eine zweifelhafte Vorstellung, da ich mich selbst auch zu meiden versuchte -, saß zwischen diesem Selbst und mir sicherlich der vielschichtige Fels der Ewigkeiten. Dieser Fels versehrte die Hand, an ihm brachen alle Werkzeuge. Irgendwo dort war aber ein Ich: Ich spürte, wie es herauswollte aus der Gefangenschaft. Die Hoffnung auf Erlösung – Identität – hing davon ab, ob man imstande war, den Fels zu entziffern und zu beschreiben. (…) Der vielschichtige Fels der Ewigkeiten entzifferte sich selbst als Teil meines Erbes – als Teil, wohlgemerkt nicht als Ganzes ‒, doch um mein Geburtsrecht einzufordern, von dem mein Erbe nur ein Schatten war, musste ich den Fels herausfordern. Sonst würde der Fels mich einfordern. (…) Als ich ernsthaft zu schreiben begann, ‒ als ich wußte, daß ich dem Schreiben mein Leben widmen würde ‒, musste ich daher die spezifische Situation zu beschreiben versuchen, die der lebende Beweis meines Erbes war – ist. Zur selben Zeit und mit denselben Worten musste ich mein Geburtsrecht einfordern. Ich bin das, was die Zeit, die Umstände, die Geschichte aus mir gemacht haben, sicherlich, aber ich bin auch noch viel mehr. (…) Das Mysterium der Hautfarbe ist das Erbe aller Amerikaner, seien sie nun dem Gesetz nach oder tatsächlich Schwarz oder Weiß. Es ist ein beängstigendes Erbe, für das Unmengen von Menschen vor langer Zeit ihr Geburtsrecht verkauft haben. Was Unmengen bis heute tun“, schreibt Baldwin im Vorwort von 1984 zu seiner Essaysammlung.
Die Tatsache einer Weißen Vorherrschaft („white supremacy“) färbt auf die Objekte dieser Zuschreibung ab; die Opfer dieser Vorherrschaft internalisieren das Bild, das sich die definierende Mehrheit von ihnen macht, wie es in einer psychologischen Analyse heißen würde. Baldwin weiß die Genese und die Folgen dieser Zuschreibung: „Dieses Grauen hat Vergangenheit und Gegenwart so zusammengeschmiedet, dass es praktisch unmöglich ist und ganz gewiß sinnlos ist, davon zu sprechen, als sei es sozusagen Geschichte.“ Das gilt ganz besonders jetzt, mehr als dreißig Jahre nach Baldwins Tod.
Im Vorwort aus dem Jahre 1984 von seinen Essays Notes of a Native Son stellt Baldwin fest, dass sich seit „über dreißig Jahren später“(d. h. seit der Erstpublikation seiner Essays ) nichts geändert hatte an der Situation der Schwarzen in einer Weißen Welt; nur „oberflächliche Veränderungen“ hatte es gegeben; und er zitiert ein französisches Sprichwort: „Je mehr es sich ändert, desto mehr bleibt es gleich.“ Was zu beweisen ist: In der Einleitung seiner Monographie mit der Frage: „Ein Zeitgenosse?“ beschreibt Aguigah die Gegenwart eines Films von 2014: „Demonstrationen, brennende Häuser, knüppelnde Polizisten, nachdem ein Beamter einen 18-jährigen Schwarzen erschossen hatte, Michael Brown in Ferguson in Missouri.“ Dem stellt Aguigah die Realität der ermordeten Schwarzen Aktivisten entgegen „Medgar Evers, Malcolm X und Martin Luther King“. „Dazu Bilder von massiven Polizeieinsätzen aus der Zeit der Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre, aus Birmingham und Los Angeles.“ „Baldwins Reden und Texte über den Rassismus in den USA klingen, als seien sie von heute, sagt Pecks Film.“ Gemeint ist Raoul Pecks Dokumentarfilm I Am Not Your Negro von 2017. „Da tritt ein telegener Baldwin auf, etwa in Bildern von seinen Talkshow-Auftritten, und im Off-Kommentar liest der Schauspieler Samuel L. Jackson aus dem letzten, nicht abgeschlossenen Manuskript, Remember This House (…).“
Während der Lektüre der Baldwin-Biographie und von Baldwins Essays dachte ich immer wieder an einen Antipoden Baldwins – den Schriftsteller und Literaturkritiker Anatole Broyard (1920-1990), von dem erst nach dessen Tod öffentlich bekannt wurde (durch den Literaturwissenschaftler Henry Louis Gates) dass er, der sich ein Leben lang als Weißer ausgegeben hatte, von Schwarzer Abstammung war, und sein sog. Passing (d. h. dass er dafür sorgte, dass seine soziale Identität von Außenstehenden nicht erkannt wird) für Kontroversen sorgte. Bereits Anatols Vater, ein Zimmermann, und Bauarbeiter, war so hellhäutig gewesen, dass er sich auf der Suche nach Arbeit als Weißer ausgeben konnte. Auch Anatole, der das Brooklyn College besuchte, war, wie eine seiner Schwestern, hellhäutig (die andere war dunkelhäutig). Schon früh zeigte Broyard ein starkes Interesse an Kultur, europäischem Film und europäischer Literatur. 1938 kreuzte Broyard, dessen Geburtsurkunde ihn als Farbigen auswies, auf seiner Sozialversicherungskarte das erste Mal als Hautfarbe „weiß“ an. „Nicht dass er schwarz war – seine Geburtsurkunde war es; nicht dass er schwarz war – seine Familie war es. Vielleicht war dies weniger eine Ausflucht als vielmehr ein Bemühen um Präzision“, erklärt Henry Louis Gates in seinem Essay „Das Geheimnis des Anatole Broyard.“ Und: „Broyard war als Schwarzer geboren und wurde ein Weißer (…).“ Auch bei seiner ersten Eheschließung im Jahre 1940 mit einer Puertoricanerin behielt Broyard die gewechselte Identität bei. An der Seite seiner Ehefrau entfernte er sich mehr und mehr von seinem früheren Umfeld. Unter der strikten Rassentrennung bei den Streitkräften hatte er als Weißer die Offiziersausbildung absolvieren können; als Schwarzer wäre ihm dies nicht möglich gewesen.
Nach dem Krieg eröffnete er in Greenwich Village eine Buchhandlung. Er fühlte sich der künstlerischen Avantgarde zugehörig und entfremdete sich bewusst von seinen familiären Wurzeln. Ende der 1940er Jahre beschrieb er sein Bohéme-artiges Leben in den posthum veröffentlichten Erinnerungen Kafka Was the Rage (dt. Verrückt nach Kafka). (Als er Teile daraus seinem Freund Harold Brodkey vorlas, reagierte dieser mit Unbehagen: „Du sagst nicht die Wahrheit, und wenn du Lügen erzählen willst oder der Wahrheit auszuweichen versuchst, dann ist eben dies das Ergebnis. Was ist die wahre Geschichte?“ Broyard holte tief Atem und erwiderte: „Die wahre Geschichte ist, dass ich nicht der bin, der ich zu sein scheine.“) Broyards Kurzgeschichten wurden von Norman Mailer gelobt. Ein Roman, an dem er arbeitete, kam aufgrund einer Schreibblockade nicht zustande. (Die Psychoanalyse hätte ihm sagen können, warum.) 1961 heiratete Broyard die skandinavisch-stämmige Tänzerin Alexandra Nelson, mit der er zwei Kinder hat.
1971 wurde Broyard, der durch seine Buchkritiken bekannt worden war, von der New York Book Review eine feste Stelle als Literaturkritiker angeboten: eine der einflussreichsten Stellen auf dem amerikanischen Buchmarkt. Henry Louis Gates schrieb nach Broyards Tod: „Nach seinen Maßstäben wollte er nicht über schwarze Liebe, schwarze Lust, schwarzes Leid, schwarze Freude schreiben, er wollte über Liebe und Lust und Leid und Freude schreiben.“ In seinem Editorial der New York Times urteilt der Schwarze Journalist und Autor Brent Staples 2003: „Anatole Broyard wollte ein Schriftsteller sein – und nicht bloß ein Neger-Schriftsteller, dem die letzten Sitzreihen des literarischen Busses zugewiesen werden.“ Nicht einmal auf dem Totenbett konnte Broyard sein Geheimnis lüften. „Sei zornig auf die Sonne“ (Robinson Jeffers): „Das Gerücht von entfernten Schwarzen Vorfahren war gewissermaßen die Umkehrung der Wahrheit“, schreibt Henry Louis Gates. Es ist auch die „Umkehrung“ – oder besser – das Gegenteil des offensiven Lebens und Schreibens von James Baldwin (der allerdings so dunkelhäutig war, dass er sich die soziale Camouflage eines Broyard nicht hätte leisten können; aufgrund der für Schwarze bedrohlichen Situation in den USA lebte Baldwin lange Jahre in Paris). Henry Louis Gates berichtet, dass es „immer wieder Gerüchte (...) über Broyards Herkunft gab“. An anderer Stelle spricht er vom „Überborden einer Persönlichkeit, die gegen die Vorherrschaft der Kategorien rebellierte“. Anatole Broyard wollte kein Zeuge sein – er wollte ein anderes Leben: ein Weißes Leben.
Baldwins The Fire Next Time (Nach der Flut das Feuer, 2019 von Miriam Mandelkow übersetzt), sein „wohl berühmtestes Buch, wurde veröffentlicht, als die Bürgerrechtsbewegung das ganze Land ergriffen zu haben schien, 1963. Was die Geschichtsbücher das zentrale Dokument der Sklavenbefreiung nennen, Abraham Lincolns Emancipation Proclamation, lag da 100 Jahre zurück. Und weil die Afroamerikaner nicht nur in den ehemaligen Sklavenhalterstaaten im Süden, offenkundig weder gleich noch frei waren, führte Martin Luther King eine Viertelmillion Menschen zum Marsch auf Washington.“ Baldwin „verknüpft in seinem Essay sein eigenes Leben – und das seines jugendlichen Neffen James ‒ mit dem rassistischen ‚Alptraum‘ in den Vereinigten Staaten. Sein Appell an die ‚einigermaßen bewußten Schwarzen‘ und die ‚einigermaßen bewussten Weißen‘ hallt bis heute nach.“ Heute schreiben gewissermaßen Baldwins „Großnichten und Großneffen.“ (Aguigah nennt zwei Titel: Randall Kenan: The Fire this Time; New York 2007, und Jesmyn Ward, The Fire this Time. A New Generation Speaks About Race; New York City 2017. Beide Titel beziehen sich auf Baldwins Essays.) Mehr noch: Baldwin ist heute ein „Social-Media-Star“; es berufen sich auf ihn die unterschiedlichsten Personen, „mit kompakten Zitaten“, mit aber z. T. undurchschaubaren Motiven (wie z. B. Madonna). Doch James Baldwin ist durch sein Werk weit mehr als die Vereinnahmung als bloßen „Posterboy einer identitätspolitischen Linken einerseits und andererseits der Degradierung seiner Schriften zum ‚Zitatreservoir‘ für ‚weiße Liberale‘“, wie Kai Sina in Die Zeit erklärt.
Lange Zeit, nach dem Erlahmen der Protestbewegung, galt Janes Baldwin als „passé.“ Das hat sich mittlerweile geändert, wenn man z. B. den Blick auf die „großen Entwicklungen in Baldwins Welt“ richtet, „sieht man etwa die Flucht von Millionen Afroamerikanern aus den Südstaaten in den Norden und Westen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, die Ghettobildung in den Städten, die Repression innerhalb der Trennung zwischen Schwarzen und Weißen, den Aufbruch der Bürgerrechtsbewegung in den 50ern und 60ern, die andauernde Gewalt – mit der Ermordung von Martin Luther King als blutigen Höhepunkt. Diese Epoche hat mehr als nur Spuren in Baldwins Werk hinterlassen. Baldwin hat aus diesem Stoff, aus diesen Erlebnissen sein Werk geformt. Er war Zeuge.“ Aguigahs Anspruch: „Dieses Buch liest James Baldwin in seiner Zeit (einer Zeit der „Wählscheibentelefone, Schreibmaschinen und Schallplattenspieler“; d. Verf.in Sparre) – und stellt ihm Fragen aus der Gegenwart.“ Diese Fragen gestaltet Aguigah in drei Kapiteln, drei „Gegensatzpaare“ abhandelnd. Es geht um die Spannung zwischen dem Verfasser von Literatur und dem politischen Aktivisten. „Baldwin versteht den Schriftstellerberuf emphatisch als künstlerisch – schon bevor er seinen ersten Roman, Von dieser Welt, 1953 veröffentlicht. Er polemisiert gegen Bücher, die in seinen Augen zu direkt als Protestliteratur Verwendung suchen. Auf der anderen Seite gerät er Ende der 50er Jahre beinahe von selbst in die Dynamik der Proteste im Süden der USA. Damit steht er vor der Aufgabe, zwei unterschiedliche Rollen miteinander zu balancieren: Wie verhält sich der Autor zum Aktivisten?“
Baldwins Kämpfen und Schreiben speisen sich aus dem Wissen: „Die Welt ist nicht mehr weiß, und sie wird nie mehr weiß sein.“ Dies ist eine Realität – ebenso wie die Gewalt, das Unrecht: eine Tatsache, immer noch. Das macht James Baldwins Bücher so bestürzend aktuell – und Miriam Mandelkows Übersetzungen (bislang sechs seiner Bücher) bringen den Autor auch zu uns. Die „deutsche Kritik begrüßt einen Autor, der klingt, als sei er unser Zeitgenosse“, schreibt Aguigah. „James Baldwin kann nicht anders, als eine Haltung zu haben“, schreibt der Verfasser. Für Baldwin gilt – wie für jeden wirklichen Schriftsteller/jede wirkliche Schriftstellerin ‒ Schreiben ist kein Tun, es ist eine Haltung.