Willy Brandt in Erfurt. Das erste deutsch-deutsche Gipfeltreffen 1970

Ein ganzes Buch über ein deutsch-deutsches Gipfeltreffen von nur wenigen Stunden? Ein Treffen zumal, bei dem weitaus wichtiger schien, dass es überhaupt stattfand, als dessen Inhalte? Dass eine Monografie über das 'rhetorische Fingerhakeln', wie Frank Fischer es nannte, und über Protokollfragen packend wie ein Krimi sein kann, beweisen Jan Schönfelder und Rainer Erices mit ihrem Buch über 'Willy Brandt in Erfurt'.

Es sind gerade die Protokollfragen ' Werden die Hymnen gespielt? Wo trifft man sich? etc. ', die die politische und symbolische Bedeutung dieses ersten deutsch-deutschen Gipfeltreffens zeigen. Den Autoren gelingt es, diese an sich trockene Materie anschaulich zu erzählen und daran aufzuzeigen, wie weit nach nur zwanzig Jahren beide deutschen Staaten voneinander entfernt waren. So verdeutlichen sie die schwierige Ausgangslage der Brandtschen Deutschlandpolitik, die ungleich heikler war als die Ostpolitik. Zu der besonderen deutschlandpolitischen Problemlage trug aber auch die Haltung der westdeutschen Opposition bei, die in weiten Teilen in den Schützengräben des Kalten Krieges verharrte und Neuansätze vehement bekämpfte. Sie ist in dem Buch leider kaum präsent, ihre Rolle muss sich der Leser aus den anderen, inzwischen zahlreichen Darstellungen ergänzen.

Die Bedeutung des Erfurter Treffens liegt vor allem jenseits einer praktischen Deutschlandpolitik mit konkreten Ergebnissen, das machen die Autoren am Schluss des Buches nachvollziehbar deutlich. Erfurt hat zunächst einmal überhaupt erst weitere Gespräche ermöglicht. Vor allem aber hat das Treffen und die überwältigenden Reaktionen der Menschen in Erfurt, die von der Staatssicherheit nicht mehr zu bremsen waren, der Öffentlichkeit vor Augen geführt, dass über die Grenzen hinweg weiterhin ein Zusammengehörigkeitsgefühl wirksam war und dass die Hoffnungen auf eine Änderung der Situation lebendig waren. Insofern war dieser Gipfel wohl auch ein Anfang vom Ende der DDR, wie Rolf Steininger urteilte, und ein 'Markstein auf dem Weg zur deutschen Einheit', wie die Autoren am Schluss des Buches konstatieren. Zumindest war es das in den Augen vieler Menschen, wie nicht zuletzt auch die Reaktionen auf Brandts etwas nostalgische Wiederholung der Reise im Frühjahr 1990 gezeigt haben mögen.