Veit Harlan
Goebbels' Starregisseur

'Ich weiß sehr wohl, dass in meiner Unfähigkeit, mich Goebbels' verbrecherischen Händen zu entwinden, eine Schuld liegt. Ich will diese Schuld selbst nicht verkleinern und habe das auch vor Gericht nicht getan. Sie lastet schwer auf meiner Seele, und ich glaube, dass diese Last die Strafe ist, die der Herrgott für solche Schuld in die Herzen der Menschen senkt.' (S. 213). Dieses dramatische Bekenntnis stammt von Veit Harlan, neben Leni Riefenstahl wohl der bekannteste und zugleich umstrittenste Filmregisseur des 'Dritten Reiches' . Mit 'Goebbels Starregisseur' setzt sich die Historikerin Ingrid Buchloh in einer umfangreichen Biografie auseinander, die vor kurzem im Verlag Ferdinand Schöningh erschienen ist.
Buchlohs Darstellung ist in drei Teile gegliedert, die im Wesentlichen den drei großen Abschnitten in Harlans Leben entsprechen: Der erste Teil (S. 3-63) beschreibt Harlans Aufwachsen in einem großbürgerlich-liberal geprägten Elternhaus sowie seine Karriere als Schauspieler und Regisseur von der Weimarer Republik bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Als Filmregisseur war Harlan seit 1935 tätig. Von politischen Einflussnahmeversuchen blieb er anfangs verschont. Die Arbeiten der frühen Jahre, meist im Schnellverfahren abgedrehte Schwänke und 'Filmchen' (S. 26), waren kaum geeignet, ihn als künftigen 'Top-Propagandisten' des Regimes zu empfehlen. Das Interesse der Machthaber, insbesondere des Propagandaministers, wuchs in dem Maße, in dem Harlans Arbeiten künstlerisch ambitionierter wurden. Dieser Punkt war spätestens mit der Gerhart Hauptmann-Adaption 'Der Herrscher' (1937) erreicht, die bereits deutliche Anklänge an die NS-Ideologie enthielt. Laut der Verfasserin wurden diese Reminiszenzen Harlan allerdings aufgezwungen, eine Argumentation, die sich im Laufe der Darstellung öfters wiederholt. Um der Instrumentalisierung durch die Nazis zu entgehen, habe der Regisseur versucht, verstärkt auf unverfängliche Themen auszuweichen. Das Ergebnis dieses 'Ausweichmanövers' waren die Melodramen der Jahre 1938/39, die beim Publikum ungemein erfolgreich waren und Harlans Aufstieg in die Spitzengruppe der deutschen Filmregisseure gewährleisteten.
Im zweiten und umfangreichsten Teil des Buchs (S. 67-175) beleuchtet Ingrid Buchloh die Jahre 1939 bis 1945. Hier geht es nun zentral um Harlans berüchtigte Propagandafilme und seine persönliche Schuld. Mit Kriegsbeginn habe der politische Druck auf den Regisseur zugenommen, nach Goebbels' Willen sollte er nun verstärkt für die Realisierung von Propagandafilmen herangezogen werden. Durch geschicktes Lavieren sei es Harlan allerdings mehrfach gelungen, politische Projekte abzulehnen oder schon in der Vorbereitungsphase zum Scheitern zu bringen. In drei Fällen konnte Harlan sich freilich nicht entziehen, 'Jud Süß' (1940) musste er ebenso drehen wie die monumentalen Durchhalteepen 'Der große König' (1942) und 'Kolberg' (1945). Folgt man Buchlohs Darstellung, hat Veit Harlan die Regie in allen drei Fällen allerdings erst nach massiven Drohungen übernommen. Einmal zur Mitarbeit gezwungen, habe er sein Können mutig darauf verwendet, die intendierte Wirkung der Filme abzumildern und teilweise sogar ins Gegenteil zu verkehren. Mit 'Jud Süß' beispielsweise habe Harlan Verständnis für die Hauptfigur wecken und sie als 'Opfer antisemitischer Vorurteile' (S.173) profilieren wollen, in 'Kolberg' hingegen habe er zahlreiche 'Grauenszenen' (S. 145) integriert, die dem Streifen angeblich eine geradezu pazifistische Note gaben. Diese Eigenmächtigkeiten mussten den Zorn des Propagandaministers erregen: Mit den von Harlan abgelieferten Resultaten sei Goebbels derart unzufrieden gewesen, dass er ihm jeweils die Verantwortung für die Fertigstellung entzog und andere damit beauftragte. Durch umfangreiche Schnitte, Nachsynchronisationen und neu gedrehte Szenen sei Harlans Arbeit in allen drei Fällen stark entstellt worden. Für die Filme, die schlussendlich auf der Leinwand zu sehen waren, könne man ihn daher nur begrenzt verantwortlich machen. Diese Diagnose bezieht Ingrid Buchloh insbesondere auf 'Jud Süß' (vgl. S.100ff.). Auch sonst hat die Verfasserin viel Entlastendes zusammengetragen: So habe sich Veit Harlan mutig für politisch und 'rassisch' Verfolgte eingesetzt, sich anständig gegenüber 'Fremdarbeitern' verhalten und verfolgten Künstlern geholfen. Die Tatsache, dass dieser Einsatz nicht bekannt wurde, hatte fatale Auswirkungen in der Nachkriegszeit, der der dritte Teil (vgl. S. 179-218) gewidmet ist. Hier wird Harlan dann vollends zum Verfolgten, der aus ökonomischen Gründen gezwungen war, die Öffentlichkeit zu suchen und um seine juristische Rehabilitierung zu kämpfen. Harlan sei zum Opfer einer Kampagne geworden, zum Sündenbock all jener, die sich eine Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Schuld ersparen wollten.
Wie ist Ingrid Buchlohs Darstellung zu bewerten? Das zentrale Problem, das jede Auseinandersetzung mit Harlans Schaffen während der NS-Zeit beeinträchtigt, ist die Quellenlage. Darauf geht Hans Mommsen in seinem Vorwort (S. VII) ein: Ein Großteil der staatlichen Akten, die Informationen zur Entstehung der einzelnen Filme enthielten, wurden während des Krieges zerstört. Einen hohen Stellenwert muss daher auch Ingrid Buchloh notgedrungen Zeugnissen einräumen, die nach 1945 entstanden sind. In erster Linie sind das Memoiren von Zeitzeugen, allen voran Harlans Selbstbiografie 'Im Schatten meiner Filme' (1966), auf die sich die vorliegende Biografie zu einem nicht unwesentlichen Teil stützt. Natürlich stellen Memoiren, Zeitzeugenberichte und Autobiografien immer eine subjektive Sicht auf die Ereignisse vor, darüber hinaus wurden sie teilweise unter einem hohem Rechtfertigungsdruck verfasst. Dass solche Zeugnisse folglich 'nur mit der gebotenen Vorsicht herangezogen werden können' (S. X.), macht Ingrid Buchloh in ihrer Einleitung hinreichend deutlich. Umso verwunderlicher, dass sie im Laufe ihrer Untersuchung eben diese Vorsicht zunehmend vermissen lässt. Episoden, deren Wahrheitsgehalt mehr als zweifelhaft erscheint, werden ohne kritische Würdigung den Memoiren Harlans und anderer Beteiligter entnommen und konsequent zur Exkulpation des Regisseurs genutzt. Ein Rettungsplan, den Harlan 1940 angeblich für die jüdischen Komparsen von 'Jud Süß' schmiedete, veranlasst die Verfasserin beispielsweise, ihn mit Oskar Schindler zu vergleichen (Vgl. S. 92). Dokumentiert ist dieser dubiose und niemals realisierte Plan einzig in einem Bericht Conny Carstennsens, Harlans Aufnahmeleiter, der selbst in die Produktion des Films involviert war und somit kaum als zuverlässiger Gewährsmann gelten kann. Solche mehr als wohlwollenden Interpretationen sind in Buchlohs Biografie zuhauf zu finden: Die Tatsache, dass Harlan den 'jüdisch versippten' Schauspieler Paul Henckels und dessen jüdische Ehefrau im Herbst 1938, also in zeitlicher Nähe zur Pogromnacht, zu einem privaten Kinoabend einlud, wertet die Verfasserin als öffentliche (sic!) Demonstration gegen die Verfolgungs- und Diskriminierungsmaßnahmen der Nazis (vgl. S. 45), eine flüchtige Unterhaltung, die Harlan am Set von 'Kolberg' mit Oberst Friedrich Gustav Jäger, einem späteren Beteiligten des 20. Juli, geführt haben will, reicht aus, um den Regisseur auch noch in die Nähe des deutschen Widerstands zu rücken (vgl. S. 140f.).
Auf diese Weise wird aus einem umstrittenen Exponenten des NS-Kulturlebens ein tragisch verkannter Held und Widerstandskämpfer. Diese Sichtweise lässt sich allerdings nur schwer mit der Tatsache in Einklang bringen, dass Veit Harlan bis zum Kriegsende mit den aufwändigsten Filmprojekten beauftragt wurde und dabei bis zuletzt auf die volle Unterstützung staatlicher Stellen zählen konnte. Das Bild, das Ingrid Buchloh in ihrer Biografie entwirft, steht weiterhin in krassem Kontrast zu der Tatsache, dass Harlan offenkundig nie in ernstere Konflikte mit dem Propagandaminister geriet, sondern in dessen persönlichen Umfeld verkehrte und zahlreiche Auszeichnungen aus seiner Hand empfing. Außerdem leuchtet nicht ein, warum der vermeintliche Nazi-Gegner sich in vielen öffentlichen Auftritten, Interviews und Artikeln, davon abgesehen aber auch im privaten Kreis, immer wieder zum NS-Regime bekannte. Die Kernthese Buchlohs steht zu guter Letzt auch im Widerspruch zu den Erinnerungen vieler Zeitzeugen, etwa zu dem, was Otto Wernicke oder und Gustav Fröhlich über den Regisseur zu sagen hatten. Die beiden renommierten Schauspieler hatten während der Nazi-Zeit aus unterschiedlichen Gründen mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Glaubt man Buchloh, half Harlan den Verfemten, indem er sie gegen alle Widerstände für seine Filme anforderte und somit vor Zugriffen schützte. Vor diesem Hintergrund muss doch sehr verwundern, dass Gustav Fröhlich in seinen eigenen Memoiren ('Waren das Zeiten' , 1982) nicht ein freundliches Wort für Harlan fand, sondern ihn im Gegenteil als überzeugten Nazi charakterisierte. Seltsam auch, dass Otto Wernicke sich 1948 strikt weigerte, seinem vermeintlichen Wohltäter einen so genannten 'Persilschein' auszustellen, sondern ihn in einem persönlichen Antwortschreiben vielmehr als 'Top-Propagandisten des Dritten Reiches' (S. 187) brandmarkte. Den fraglichen Brief zitiert auch Harlans Biografin, eine Erklärung der Aussage sucht man leider vergebens. Die zahlreichen Widersprüche werden im Buch letztlich mit einer Art Doppelstrategie erklärt, derer Veit Harlan sich angeblich bediente: Demnach gerierte der Regisseur sich nach außen hin als systemkonformer Karrierist, um hinterrücks umso energischer für Verfolgte eintreten zu können. Eine raffinierte Tarnung also, die natürlich nicht alle Zeitgenossen durchschauen durften. Mit diesem Doppelspiel wird dann auch ein Teil von Harlans nazifreundlichen Äußerungen erklärt, den Rest führt Ingrid Buchloh, wie seine Propagandafilme auch, konsequent auf politischen Druck und grobe Verfälschungen zurück. Das ist wenig überzeugend, es bleiben massive Zweifel, die sich auch mit dem wiederholten (inhaltlich durchaus zutreffenden) Hinweis, Harlan sei kein Antisemit gewesen und niemals in die NSDAP eingetreten, nicht entkräften lassen. So fällt es am Ende schwer, die Verfasserin für ihre aufwändige Recherche und die gute Lesbarkeit ihrer Darstellung zu loben, da beides durch die fehlende Distanz zu ihrem Untersuchungsgegenstand doch stark entwertet wird. Ingrid Buchlohs Veit Harlan-Biografie ist eine unkritische und an vielen Stellen leider auch ärgerliche Apologie.