Neue Deutsche Popliteratur

Der Begriff 'Popliteratur' gehörte Mitte der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts zu den meist verwendeten und zugleich meist geschmähten Schlagwörtern des deutschen Literaturbetriebs. Damals öffneten einige Autorinnen und Autoren sich der populären Massenkultur, indem sie in ihren Romanen Phänomene der Medien- und Konsumwelt thematisierten. Während diese Art Literatur beim Leser ungemein erfolgreich war, reagierte die Literaturkritik überwiegend mit Ablehnung. Mittlerweile hat sich die Beschäftigung mit Popliteratur stark an die Universitäten verlagert. Dementsprechend sind in den letzten Jahren u.a. einige Einführungen und Überblicksdarstellungen zum Thema erschienen. In der Reihe 'UTB Profile' haben die Literatur- und Medienwissenschaftler Frank Degler und Ute Paulokat nun eine Monografie zur 'Neuen Deutschen Popliteratur' zwischen 1995 und 2001 vorgelegt.
Die strikte Fokussierung auf 'die bislang letzte Phase der deutschsprachigen Popliteratur' (S.8) ist eine Besonderheit des anzuzeigenden Bandes. In der Vergangenheit waren Darstellungen zum Thema eher darauf bedacht, die Geschichte der Gattung 'ab ovo' nachzuvollziehen, wobei die Popliteratur der neunziger Jahre stets als Endpunkt einer knapp dreißigjährigen Entwicklung verstanden und immer in Zusammenhang mit vorherigen Strömungen betrachtet wurde. In dieser Vorgehensweise sehen Frank Degler und Ute Paulokat eine 'zwanghafte Historisierung' (S.8), durch die der Blick für die spezifischen Leistungen und Eigenarten des Gegenstandes verstellt werde. Im vorliegenden Band wird die Popliteratur der neunziger Jahre daher konsequent (und völlig zu Recht) als eigenständiges Phänomen verstanden. Darüber hinaus verzichten Degler/Paulokat auch darauf, ihrer Darstellung eine eigene Begriffsdefinition zu Grunde zu legen. Stattdessen stellen sie zehn Beobachtungsperspektiven vor, mittels derer sich 'Neue Deutsche Popliteratur' ihrer Meinung nach sinnvoll beschreiben lässt.
Dabei wird die Popliteratur zunächst mit dem Konzept der Intermedialität in Verbindung gebracht. Daß die Popmusik in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle spielt, zeigt Benjamin von Stuckrad-Barres Roman 'Soloalbum' (1998), der nach Meinung der Verfasser als 'intermediale Verbindung von Musik und Literatur' (S. 26) gelesen werden kann. Zwei weitere Kapitel beschreiben die Popliteratur zudem ausführlich in ihrer Funktion als 'Archivierungs- und Rekanonisierungsmaschine' (S.40). Dieses Merkmal, auf das der Münsteraner Literaturwissenschaftler Moritz Baßler erstmals hingewiesen hatte, ist in der Tat unübersehbar. Ein wichtiges Kennzeichen der Gattung ist ihre Intertextualität. An dieser Stelle weisen Degler/Paulokat überzeugend nach, daß es sich bei den Pop-Autoren trotz manch übertriebener  'Star-Allüren' in erster Linie eben doch um Schriftsteller handelt, die sich mittels intertextueller Einzel- und Systemreferenzen in der Tradition bestimmter Vorbilder aus dem Bereich der 'Höhenkammliteratur' (S.92) verorten.
Gewinnbringend analysieren die Verfasser Popliteratur auch unter der Perspektive der Kinder- und Jugendliteraturforschung und der Gender-Studies. Ein weiteres Kapitel untersucht zudem das Verhältnis zwischen Pop und Politik. Auch diese Perspektive ist berechtigt, immerhin wurde der Popliteratur in den zeitgenössischen Feuilletondebatten immer wieder politische Gehaltlosigkeit attestiert. Demgegenüber können die Verfasser gute Argumente für eine Neubewertung oder zumindest eine größere Differenzierung vorbringen. Dazu gehört u. a. auch der Hinweis auf die 'universale Ironie' (S.14), die ein weiteres Kennzeichen der Gattung ist. Daß in der Popliteratur dennoch ernste Themen verhandelt werden, wird im Abschnitt zu 'Krankheit, Tod und letzte Dinge' (S.97) deutlich.
Auch heute noch ist der Umgang mit 'Neuer deutscher Popliteratur' von pauschalen Negativurteilen bestimmt. Frank Degler und Ute Paulokat treten mit ihrer Darstellung hingegen für eine neue Sichtweise ein. Ihr Plädoyer ist ebenso gerechtfertigt wie gelungen. Das Verdienst der Autoren besteht darin, die bisherigen Forschungsergebnisse gut und prägnant zusammenzufassen. Der UTB-Band bietet nicht nur eine kompakte Einführung in das Themenfeld, sondern liefert auch zahlreiche Anregungen, in welche Richtung künftige Untersuchungen sich orientieren könnten. Nicht nur Studenten ist das Buch daher sehr zu empfehlen.