Überleben durch Arbeit?
Außenkommandos und Außenlager des KZ Dachau 1933-1945

65 Jahre nach Kriegsende und bald 80 Jahre nach Errichtung des ersten Konzentrationslagers, so mag man leichthin glauben, sei doch die Geschichte der nationalsozialistischen Lager allgemein, und die Dachaus besonders, bis in alle Einzelheiten erschlossen und erforscht. Dass diese Annahme fehl geht, belegen einige Neuerscheinungen zu Dachau, dem wohl bekanntesten KZ auf dem Gebiet von Vorkriegsdeutschland.
Hierzulande war die Forschung nach Eugen Kogons in den 1940er Jahren weitgehend aus seinen Buchenwald-Erfahrungen heraus geschriebener Studie über den 'SS-Staat' bereits wieder an ihrem vorläufigen Ende angekommen und die ehemaligen Lager, sofern sie nicht mehr als Flüchtlingslager genutzt wurden, verkamen. Nach ersten Versuchen Martin Broszats in den sechziger Jahren und einer wegweisenden Studie von Falk Pingel Ende der siebziger Jahre waren es wohl erst Wolfgang Benz und Barbara Distel, die in den achtziger Jahren mit den 'Dachauer Heften' eine Konzentrationslager-Forschung in Gang setzten.
Seit einigen Jahren sind nunmehr nicht nur die großen Lager, die sogenannten Stammlager, im Fokus der Forschung, wenngleich es auch hier noch Grundlagenforschung zu betreiben gilt. Jetzt gerät vielmehr das gesamte Lageruniversum mit seinen hunderten von Außenlagern, Zwangsarbeitslagern, Kriegsgefangenenlagern usw. in den Blick der historischen Forschung jenseits der früher in Geschichtswerkstätten betriebenen lokalen Spurensuche und Aufarbeitung.
Sabine Schalms grundlegendes Buch demonstriert den Gewinn solcher Forschung mustergültig. Sie nimmt alle 140 Außenlager und Außenkommandos des KZ Dachau in den Blick, von denen das erste bereits 1933 entstanden ist, die meisten aber erst im Laufe des Krieges. Ab 1943 waren sogar mehr Häftlinge in den Außenlagern und -kommandos als in Dachau selbst. In ihnen arbeiteten die Häftlinge für die Rüstung, für Privatbetriebe, wie zum Beispiel eine Wurstfabrik, oder auch nur für eine Ordensschwester, die sich durch persönliche Bekanntschaften bereits 1934 für ihre Zwecke KZ-Häftlinge sicherte.
Neben der Untersuchung der Entwicklung und der Dimension des Außenlagernetzes von Dachau untersucht Schalm auf Grundlage zahlreicher Erinnerungsberichte, Ermittlungsakten und anderer kleinerer Aktenbestände vor allem auch die Handlungsoptionen von Häftlingen, Aufsehern, der Wirtschaft sowie Privatpersonen und führt eindrucksvoll die Einbindung der vielen Lager in die jeweiligen lokalen und regionalen Beziehungsgeflechte vor Augen. Zahllose Behörden waren mit der Errichtung und Versorgung befasst, viele Betriebe und Mitarbeiter kamen in direkten Kontakt mit den Häftlingen, forderten diese gezielt an. Das Verhaltensspektrum bei den direkten persönlichen Begegnungen reicht von Hilfsversuchen über die Gleichgültigkeit der Masse bis hin zu Denunziationen und Misshandlungen.
Das Problem einer überaus lückenhaften Aktenüberlieferung hat Schalm sehr überzeugend gelöst und durch eine akribische Auswertung der Häftlingszeugnisse kompensieren können. Überdies hat sie die Mühe auf sich genommen, trotz aller Überlieferungsschwierigkeiten einen Tabellenanhang zu erstellen, in dem sie alle Außenlager und -kommandos inklusive ihrer Errichtungs- und Befreiungsdaten und der Zahl der Inhaftierten auflistet. Vorzüglich erschlossen ist der Band überdies durch Register für Orte und Lager, für Firmen und Institutionen und für Personen.
Den von Edith Raim herausgegebenen Band über die 'Überlebenden von Kaufering' nun als eine willkommene Ergänzung zur glänzenden Studie von Sabine Schalm zu bezeichnen, wäre zwar durchaus richtig, würde diesem aber damit nicht gerecht. Raim, die bereits über dieses Mitte 1944 errichtete Außenlager Dachaus ihre Dissertation vorgelegt hat, hat zahlreiche Biographien jüdischer Überlebender recherchiert und mit etlichen Fotos illustriert. In jeder einzelnen Biographie, so kurz sie mit maximal einer Seite auch jeweils ist, wird nicht nur die ganze brutale Destruktivität der Nationalsozialisten im Einzelnen biographisch greifbarer. Darüber hinausgehend zeigt sich im Kleinen eindrücklich die europäische Dimension des Verbrechens, dessen Opfer aus ganz Europa kamen ' in Kaufering zu 80 Prozent aus Ungarn, Polen und Litauen ' und nach dem Ende des Regimes über die ganze Welt zerstreut wurden. Das Lager Kaufering, in dem insgesamt mehr als 30.000 Häftlinge waren, war für die allermeisten nicht die erste Verfolgungsstation ' in der Regel kamen die Menschen aus den Gettos oder aus Konzentrationslagern wie Auschwitz, Warschau oder Płaszów. Auch das Bewachungspersonal hatte vielfach bereits eine 'Lagerkarriere' hinter sich.
Auch Max Mannheimer hatte, bevor er als Häftling in eines der Dachauer Außenlager verschleppt wurde, bereits mehrere Leidensstationen hinter sich. Er war zuvor aus Böhmen und Mähren nach Auschwitz deportiert worden und kam anschließend in das bis heute fast unbekannte Konzentrationslager Warschau, bevor er schließlich 1944 in das Dachauer Lageruniversum geriet. Eindrucksvoll schildert er die Etappen bis zu seiner Befreiung Ende April 1945 durch amerikanische Truppen in seinem 'Späten Tagebuch', das er schon Mitte der sechziger Jahre geschrieben, aber erst Jahrzehnte später veröffentlicht hat.
Ausschließlich auf die Täter fokussiert ist Martin Gruners überarbeitete und erweiterte Magisterarbeit 'Verurteilt in Dachau', in der er den Militärgerichtsprozess gegen den Dachauer Lagerkommandanten Alex Piorkowski untersucht, der im Januar 1947 in Dachau stattgefunden hat. Gruners Arbeit, der zwar noch der 'Geruch' einer Magisterarbeit anhaftet und die vor allem in den allgemeinen Teilen zur US-Militärgerichtsbarkeit und zu Dachau Längen hat, weist auf ein Desiderat hin, denn noch immer harren die zahlreichen Dachauer und anderen Prozesse der Alliierten einer breiteren Erforschung. Auf gesicherter Quellengrundlage hat Gruner einen Fall exemplarisch beleuchtet ' viele weitere bleiben noch zu erforschen.