Horst Wessel ist, insofern war der NS-Totenkult um ihn erfolgreich, bis heute im kollektiven Gedächtnis der Deutschen, zumindest der Älteren, fest verankert, im rechtsextremen Milieu als immer noch verklärter Vorkämpfer ihrer Ideologie. Daher und wegen des hohen Stellenwerts des Horst-Wessel-Kults im Nationalsozialismus ist es sehr zu begrüßen, dass nun erstmals eine Biographie über ihn vorliegt, die beides in den Blick nimmt.
Wessels Biographie ist schnell erzählt und bietet eigentlich keinen Stoff für einen wie auch immer gearteten Kult, umso erstaunlicher ist es, dass Goebbels einen derart wirkungsmächtigen Kult an Horst Wessel festmachen. Hätte es Wessel nicht gegeben, hätte Goebbels einen anderen x-beliebigen SA-Mann gefunden.
Wessel, 1907 geboren, wuchs als Sohn eines Pfarrers in einem protestantisch-nationalistischen Milieu auf und wurde früh schon von seinem Vater mit völkischem Gedankengut 'gefüttert'. Wessel war wohl, sein Vater starb bereits 1922, eine gescheiterte Existenz: Sein Jura-Studium brach er ab, er schlug sich mit Gelegenheitsarbeiten durch. In der SA, in der er es bis zum 'Sturmführer' brachte, fand er eine ihm zusagende ideologische Orientierung, Bestätigung und Kameradschaft. Mitte Januar 1930 ereignete sich das, aufgrund dessen er berühmt werden sollte: Ein kommunistischer Zuhälter drang in die Wohnung Wessels ein und schoss ihm ins Gesicht, woran Wessel einige Wochen später starb. Die Geburtsstunde des Mythos hatte geschlagen.
Goebbels inszenierte eine Märtyrerlegende, die nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten zu ihrer vollen Entfaltung kam. Das 'Horst-Wessel-Lied' wurde gewissermaßen in den Rang einer Nationalhymne erhoben, zahlreiche Straßen erhielten seinen Namen, pompöse Denkmäler wurden geplant und zum Teil realisiert. Doch nicht nur in der Selbstinszenierung des Regimes war der Wessel-Mythos allgegenwärtig. Der Kult um den toten Versager wirkte tief in die Bevölkerung, wovon nicht zuletzt die sprunghaft ansteigende Popularität des Vornamens 'Horst' zeugt. Ein ranghoher Kölner NS-Funktionär brachte es sogar fertig, seinem Sohn den Vornamen 'Wessel' zu geben ' was ihn nach 1945 in gewisse Erklärungsnöte brachte.
Der Wessel-Kult hatte jedoch neben den heute eher pittoresk wirkenden Erscheinungen auch handfeste Folgen. Der 1930 zu einer Haftstrafe verurteilte Täter fiel der Rache der SA zum Opfer; eine Gruppe von SA-Männern erschoss ihn im September 1933. Andere aus dem Umfeld des Täters fielen ebenfalls Meuchelmorden zum Opfer. Minutiös, aber nicht detailverloren rekonstruiert Siemens die Hintergründe des Mordes und dieser 'Revanche'.
Siemens hat mit seinem Buch eine packende Geschichte des zentralen NS-Kultes und der ihm zugrundeliegenden Figur geschrieben und damit einen wichtigen Beitrag geleistet, eine ins Religiöse überhöhte Märtyrerlegende verstehbarer zu machen und damit manche Wirkungsmechanismen der NS-Herrschaft offenzulegen.