Wärmt man manche Eintöpfe häufiger auf, schmecken sie um vieles besser als beim ersten Mal. Was für Eintöpfe richtig ist, gilt in der Geschichtswissenschaft nicht unbedingt. Das zeigt leider das Buch des Journalisten Joachim Riecker über 'Hitlers 9. November', dessen Untertitel zudem in die Irre führt. Riecker untersucht weder, noch zeigt er, wie der Erste Weltkrieg zum Holocaust führte, sondern wie der Erste Weltkrieg Hitler angeblich den Holocaust schon sehr früh denken ließ. Dafür hätte es des Buches nicht bedurft, denn das ist alter Wein in neuen Schläuchen. Hier hätte Riecker auf Eberhard Jäckel verweisen können, den er gewissermaßen als 'Mentor' an den Anfang seiner Darstellung stellt, ohne im Übrigen dessen zentrales Buch, 'Hitlers Herrschaft, Vollzug einer Weltanschauung', überhaupt zu zitieren.
Der Grundgedanke ist schnell erzählt: Hitlers Judenhass und der Entschluss, die Juden zu ermorden, geht auf den Ersten Weltkrieg und vor allem die Niederlage Deutschlands 1918 zurück, für die er die Juden verantwortlich machte. Diese Entscheidung habe Hitler bereits in dieser Zeit gefällt und offen, etwa in 'Mein Kampf', propagiert. Daran anschließend arbeitet Riecker chronologisch die Radikalisierung von Hitlers Judenhass und die vermeintlichen Ankündigungen des Massenmordes heraus.
Riecker arbeitet auf einer denkbar schmalen Literaturbasis und lässt manche Erkenntnisse der Holocaustforschung, die nicht in seine Argumentationskette passen, schlicht außer acht, so dass ihm auch Fehler unterlaufen: In Łódź zum Beispiel wurde nicht das erste Getto in Polen errichtet und die Gettos wurden auch keineswegs auf Befehl Heydrichs gebildet. Ferner konnten am 1. Februar 1933 in Deutschland auch kaum 'Millionen Menschen' (S. 153) eine Radioansprache Hitlers verfolgen.
Ähnlich verfährt Riecker bisweilen mit den Quellen. Vieles nimmt er nur allzu wörtlich, Äußerungen Hitlers oder von August Kubitzek, einem Jugendfreund Hitlers, übernimmt er unkritisch, soweit es zur eigenen Argumentation passt. Schließlich geht er sehr ausführlich auf einen antisemitischen Verfasser und seine Schriften ein, die bruchlos die eigene These zu untermauern scheinen, mit der bloßen Vermutung, Hitler habe diese Texte gelesen. Selbst wenn es einen überzeugenden Nachweis für diese Lektüre gäbe, wäre die Aussagekraft noch gering. Auch das bereits häufiger bemühte Foto, das Hitler am Rande des Trauerzugs für Kurt Eisner zeigt, muss (ohne dass es abgedruckt wäre) herhalten als Beleg für eine vorübergehende Pro-Revolutionshaltung, obwohl die bloße Anwesenheit Hitlers gar nichts über seine Einstellung und seine Beweggründe verrät.
Rieckers These ist abgestanden und verstaubt, Neues zur Untermauerung dieser alten, auf die Spitze getriebenen Jäckelschen Interpretation vermag er nicht plausibel zu liefern. Er präsentiert ein Intentionalismus-Konzentrat, reich an überzogenen Ex-post-Überinterpretationen.