Der grosse Irrtum
Die Erinnerungen des NSDAP-Mannes Friedrich Lodemann

Auf den ersten Blick hält der Leser mit diesem Buch eine Ausnahmeerscheinung in den Händen: Hier scheint endlich einmal ein NS-Funktionär, wenn auch aus dem dritten Glied, offen Rechenschaft abzulegen, darüber, was war, und darüber, was er damit zu tun hatte.
Jürgen Lodemann, vielfältig im Literaturbetrieb in Funk und Fernsehen aktiv, hat die in den sechziger Jahren entstandene Schrift seines Vaters nun, 30 Jahre nach dessen Tod, herausgegeben und mit einem eingestreuten Kommentar versehen. Friedrich Lodemann, 1894 geboren, war Diplom-Ingenieur bei AEG in Essen. 1931 schloss er sich der NSDAP an, in der er nach 1933 diverse Posten einnahm, so wurde er etwa Schulungsleiter der Essener Ortsgruppe und Betriebsobmann der Deutschen Arbeitsfront. Nach einer kurzen Phase der Arbeitslosigkeit und einer Vertretertätigkeit nach 1945 fand er schließlich den Weg zurück in die AEG. 1965 schließlich verfasste er die vorliegende Rechtfertigungsschrift.
Eine Ausnahmeerscheinung ist der Bericht insofern, als der Autor nicht mit Verurteilungen der NS-Diktatur spart, die er u.a. das 'durch und durch mörderische Regime' (S. 24) nennt. Das sind aber nur im Allgemeinen verharrende wohlfeile Lippenbekenntnisse. Geht es um die eigene, ganz persönliche Beteiligung am Unrecht, verfällt Lodemann in Schweigen. Der Leser erfährt nichts über all die systemstabilisierenden und disziplinierenden Aufgaben, die mit Lodemanns Funktionen im NS-Apparat verbunden waren. Anderen habe er kein Unrecht getan, im Gegenteil. Positives streicht er gleichwohl überdeutlich hervor. Das wird den Leser kaum überraschen, wurde er doch von Lodemann selbst zu Beginn des Berichts belehrt: 'Ich brauch keine Rechtfertigung, ich besitze genug Zeugnisse, die mich von Schuld freisprechen' (S. 15). Diese Leerstellen vermag auch Jürgen Lodemanns lose in den Text eingestreuter Kommentar nicht zu füllen, der oft Belangloses erläutert, bisweilen aber zusammenhanglos bleibt.
Interessant ist Lodemanns Bericht allenfalls deswegen, weil er manches von der Anziehungskraft der Volksgemeinschafts-Ideologie der Nationalsozialisten und deren Wirkungskraft über 1945 hinaus verrät. Wider Willen offenbart Lodemann in seinem Bericht auch die Langlebigkeit sozialdarwinistischer Vorstellungen und antisemitischer Stereotype. Diese verurteilt er zwar vordergründig als größten Irrtum, aber durch die Hintertür kommt der Sozialdarwinismus wieder herein: Durch jahrhundertelange Verfolgung der Juden hätten die Besten und Intelligentesten überlebt, was schließlich zu einer Dominanz der Juden in Kultur und Wissenschaft in den zwanziger Jahren geführt habe.
Letztlich hält der Leser also doch ein Buch in den Händen wie es viele gibt; allenfalls enthält dieses eine Portion mehr allgemeiner Verurteilung des NS-Regimes. Der Erkenntnisgewinn aus der Lektüre bleibt gering.