Pünktlich zum 70. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen liegt nun eine Gesamtdarstellung des britischen Historikers Norman Davies über 'Europa im Krieg' auf Deutsch vor. Der bislang vor allem mit voluminösen Werken zur polnischen Geschichte hervorgetretene Davies geht bei seinem Buch von dem Befund aus, die westliche Weltkriegsforschung habe sich vor allem auf die dortigen Kriegsgeschehnisse konzentriert, während die osteuropäischen Abläufe und Schauplätze unterbelichtet geblieben seien. Er will beides nun zusammenführen und in einem breit angelegten Panorama zu einer Neubewertung weithin bekannter Fakten kommen.
Bereits dieser Befund, der für die angelsächsischen Zusammenhänge noch in Grenzen tragfähig sein mag, geht in Deutschland, schaut man sich die Forschungen der letzten Jahrzehnte an, allerdings fehl. Dennoch geht Davies mit dem Impetus des Bilderstürmers ans Werk und kämpft doch allzu oft nur gegen Windmühlen. Daher bleiben dem Leser leider auch zahlreiche Redundanzen nicht erspart, wie etwa die gebetsmühlenartig wiederholte Feststellung, dass das unbesetzte Gebiet der Sowjetunion doch sehr viel größer war als das von den Deutschen okkupierte. Das geht einher mit bisweilen merkwürdigen Gewichtungen: Im Abschnitt 'Umsiedlung' geht Davies fast ausschließlich auf die sowjetische Politik ein, während die NS-Umsiedlungspolitik im Hintergrund verschwindet. Dieses Ungleichgewicht ist zum einen der These von der Unkenntnis der Vorgänge in der Sowjetunion geschuldet, aber zum anderen wohl auch der Geringschätzung vor allem der deutschen NS-Forschung.
Ungleichgewichte und Fehler durchziehen das gesamte Buch. Das große Kapitel über Zivilisten etwa ist in zahlreiche Abschnitte eingeteilt, die verschiedenen Gruppen wie Adligen, Bankiers, Dolmetschern und anderen gewidmet sind. Häufig erstrecken sich diese nur über eine Seite und hätten ohne Verlust einer Straffung der Darstellung zum Opfer fallen können. Zumal in dieser knappen Form manche Darstellungen schlicht unhaltbar sind wie zum Beispiel der Abschnitt über 'Kollaborateure' (2 Seiten), in dem lediglich zwei Beispiele ' beide sind Juden ' angeführt werden. Warum dem Leser auch die Noten des Horst-Wessel-Liedes dargeboten werden, bleibt ein Geheimnis ' zum Nachsingen soll doch wohl kaum animiert werden.
Davies unterlaufen etliche Fehler, die ihm als Polenspezialist nicht passieren dürften und die auch einem gründlichen Lektorat nicht entgehen sollten: Das Generalgouvernement wird kurzerhand in das Deutsche Reich eingegliedert (S. 276), Auschwitz aber aus diesem in das Generalgouvernement ausgegliedert (S. 541), die Wannsee-Konferenz wird auf den 24., nicht auf den 20. Januar 1942 datiert usw.
Es scheint, dass die Genauigkeit einer packenden Darstellung zum Opfer gefallen ist, die Davies zweifellos beherrscht. Das allein macht das Buch aber nicht zu einer empfehlenswerten Lektüre. Zwar bietet er manche Perspektiverweiterung und interessante Fakten, aber die Mängel fallen doch zu stark ins Gewicht.