Tobias Winstel bereichert die florierende Wiedergutmachungsforschung um eine innovative Studie, die auf seiner Münchener Dissertation beruht. Er bringt die Ebene des Gesetzgebers und der Bürokratie zusammen mit der Perspektive der betroffenen Opfer. Das Ergebnis ist eine Beziehungsgeschichte, die die Wiedergutmachung nicht als einseitigen Akt, sondern als einen in Interaktion zwischen Behörden und Betroffenen verhandelten Prozess darstellt.
Schwerpunkt seiner Untersuchung ist Bayern. Hier hatte Winstel umfassenden Einblick in die Akten der Finanzverwaltung, die das Forschungsprojekt gemeinsam mit der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns getragen hat. Doch Winstel greift immer wieder darüber hinaus und kann die Gültigkeit seiner Befunde über Bayern hinaus aufzeigen.
Seine Studie gliedert sich in drei große Teile. Im ersten zeichnet er die Maßnahmen und Organisation der Wiedergutmachung in Bayern nach und analysiert Bayerns Rolle 'im Konzert der Bundesländer'. Bayern bildet nicht nur aus forschungspolitischen Gründen den Schwerpunkt der Studie, sondern es war, das kann Winstel plausibel belegen, zunächst Wegbereiter und Vorreiter einer Regelung der Wiedergutmachung.
Im zweiten Teil wendet sich der Autor den verschiedenen Akteuren und ihrer Interaktion zu. Ausführlich und fundiert nimmt er die Behördenmitarbeiter in den Blick und widerlegt die häufig geäußerte Vermutung einer besonderen NS-Belastung dieses Personenkreises. Das Gegenteil war der Fall: Mehrheitlich zählte das Personal selbst zu Verfolgten des NS-Regimes. Zudem durchbricht er die bisweilen eindimensionale Betrachtung der antragstellenden Opfer. Keineswegs war dies eine von gleichen Interessen geleitete homogene Gruppe. Vielmehr gab es auch hier Binnenkonflikte und Konkurrenzverhältnisse.
Schließlich wagt sich Winstel an das Unterfangen, eine 'Wirkungs- und Erfahrungsgeschichte der Wiedergutmachung' zu schreiben. Hier lenkt er vor allem den Blick auf die Opfer und die Bedeutung, die die Wiedergutmachung für sie hatte ' materiell und vor allem immateriell. Winstel greift auch das zeitgenössisch oft als Kampfinstrument aufgekochte Feld des Missbrauchs und Betrugs auf und untersucht 'Wiedergutmachung und Öffentlichkeit'.
Bei allen Problemen und Missgriffen bei der Wiedergutmachung, die Winstel sieht und klar benennt, deutet er die Wiedergutmachung letztlich als Erfolg, da sie die Opfer, neben materiellen Erleichterungen, vor allem wieder ins Recht setzte und eine nicht nur symbolische Abkehr von der NS-Diktatur markierte.