Mit Ralf Meindls veröffentlichter Fassung seiner 2006 in Freiburg eingereichten Dissertation liegt erstmals eine fundierte Biographie eines der mächtigsten Unterführer des Nationalsozialismus vor. Auf der Grundlage umfassender Archivrecherchen kann er Leben und Wirken des ostpreußischen Gauleiters Erich Koch von seinen Anfängen in Elberfeld bis zu seinem Tod in polnischer Haft darstellen.
Überzeugend gelingt es Meindl, Kochs Entwicklung für den Leser plausibel nachzeichnen, angefangen mit den starken protestantischen Wurzeln Kochs und seinem Engagement im CVJM. Früh schloss Koch sich den Nationalsozialisten an und orientierte sich, immer wieder auf der Suche nach Vaterfiguren, an Gregor Straßer. Überzeugt verfocht Koch dessen stärkere Betonung der sozialistischen Elemente der Parteiideologie und wurde schnell zu einem gefragten und umtriebigen Propagandisten im Ruhrgebiet und darüber hinaus.
Am Beispiel Kochs gelingt es Meindl hervorragend, einen tiefen Einblick in parteiinterne Konflikte und ihre Mechanismen zu geben. Zu nachhaltigen Problemlösungen kam es dabei kaum, vielmehr bestand die Strategie aus Vertagen, Aussitzen und dem Ingangsetzen des Personalkarussells. Dem verdankte Koch, als sich die parteiinterne Krise im Ruhrgebiet 1927/28 zuspitzte, schließlich auch seine Berufung zum Gauleiter von Ostpreußen, dem Gau, in dem die NSDAP bis dato nahezu bedeutungslos war.
Einmal Gauleiter geworden, erwies sich Koch als Virtuose des Machtzuwachses, des Machterhalts und der Machtsicherung. Das 'System Koch', mit dessen Hilfe er einer der mächtigsten Gauleiter werden konnte, seziert Meindl scharfsinnig und anschaulich. Es bestand aus einer Kombination aus Durchsetzungskraft und Beeinflussbarkeit. Der sogenannte 'Königsberger Kreis', dem Vordenker wie etwa der spätere Widerstandskämpfer Fritz-Dietlof von der Schulenburg angehörten, lieferte ihm viele Ideen und Strategien, die Koch bereitwillig annahm. Er selbst wiederum verfügte über die entsprechenden Verbindungen bis zur obersten Führung, um sie mit Geschick zu vertreten und durchzusetzen.
Diese Verbindungen und seine raschen Erfolge in Ostpreußen waren es auch, die es Koch ermöglichten, länger als viele andere nonkonforme Positionen und Ideen Straßers zu vertreten, als dieser schon längst in Ungnade gefallen war. Koch hatte es geschafft, einen derart hohen Stellenwert für Hitler zu erreichen, dass er sich unentbehrlich gemacht hatte. Nur so konnte er zahlreichen Angriffen parteiinterner Widersacher trotzen.
Die Früchte seines Systems konnte Koch nach Beginn des Zweiten Weltkriegs ernten. Wie kein anderer Gauleiter weitete sich sein Herrschaftsraum aus auf den Regierungsbezirk Zichenau, den Bezirk Bialystok und weite Teile der Ukraine. Dort trug er maßgeblich zur Radikalisierung nationalsozialistischer 'Volkstumspolitik' bei und betrieb eine unnachgiebige Besatzungspolitik ' immer darauf ausgerichtet, sich bei Hitler zu profilieren.
Kochs rasanter Aufstieg im System des Nationalsozialismus führte auch zu ' nicht zuletzt von ihm selbst geförderten ' Legenden um seine Person und seine Macht. Nicht wenige davon wirkten über 1945 hinaus oder entfalteten sogar erst dann ihre volle Wirkung. Meindls Verdienst ist es, nüchtern für Klarheit zu sorgen, etwa im Hinblick auf Kochs Verhalten gegen Kriegsende oder auf seinen angeblich hemmungslosen Lebensstil.
Meindls Koch-Biographie ist ein wichtiger Beitrag zur Geschichte der NSDAP und der Rolle der Gauleiter innerhalb der Partei. Zudem liefert er die erste monographische Studie zu einem NS-Gauleiter, einem der wichtigsten zumal.