Die breitgefächerte Untergrundpresse im besetzten Polen stellt eine bis heute weitgehend ignorierte Quelle nicht nur für die Erforschung des polnischen Widerstands, sondern auch der deutschen Besatzungspolitik, der Haltung und Situation der polnischen Gesellschaft und eben auch des polnisch-jüdischen Verhältnisses dar. Die Arbeit von Klaus-Peter Friedrich wendet sich letzterem zu. Sie ist hervorgegangen aus einer 2002 in Köln eingereichten weitaus umfangreicheren Dissertation. In der Druckfassung beschränkt sich Friedrich auf das Generalgouvernement und vor allem auf Warschau und seine Umgebung. Zudem hat er den Untersuchungszeitraum eingegrenzt und die Fortführung der Untersuchung über das Kriegsende hinweg unterlassen. Wen dieser Zeitraum oder auch die eingegliederten polnischen Gebiete interessiert, kann all das erfreulicherweise in der online zugänglichen Fassung der Dissertation nachlesen (http://kups.ub.uni-koeln.de/volltexte/2003/952/).
In dem Buch geht es Friedrich in erster Linie um die polnischen Reaktionen auf die Deportationen der Warschauer Juden in das Vernichtungslager Treblinka und auf den Warschauer Ghetto-Aufstand. Dabei stehen für ihn die Fragen im Vordergrund, wie im breiten Meinungsspektrum der Untergrundpresse der Massenmord in seinen einzelnen Phasen interpretiert und wer für diesen verantwortlich oder mitverantwortlich gemacht wurde. Er analysiert daraufhin die Untergrundorgane des gesamten politischen Spektrums von den Kommunisten und der sozialistischen Linken, über die Bauernbewegung und politische Rechte bis hin zur wohl bekanntesten Organisation, der Heimatarmee. Aus der Untergrundpresse bringt er ausführliche und vor allem sehr gut ausgewählte und von ihm selbst exzellent übersetzte Zitate. Der eigentlichen Untersuchung vorangestellt ist ein knapper, ebenso notwendiger wie instruktiver Überblick über das Spektrum der illegalen Presse im besetzten Polen.
Je nach politischer Ausrichtung waren die Reaktionen auf die Ermordung der Juden geprägt von Empörung, Empathie, Gleichgültigkeit oder gar Genugtuung. Eine wichtige Rolle spielten immer die Erfahrungen der Vorkriegszeit und vor allem auch die jeweiligen Programme für eine Zukunft nach der Okkupation. Während Empörung und Empathie auf Seiten der sozialistischen Linken und demokratischen Mitte verbunden mit dem Anspruch, Juden zu helfen und Kollaboration zu bekämpfen, überwogen, waren die Reaktionen der Rechten stärker von antisemitischen Stereotypen durchsetzt und reichten bis zu Genugtuung, leisteten doch die Deutschen in den Augen nationalistischer Gruppen Vorarbeit zu einem angestrebten ethnisch homogenen polnischen Nationalstaat. Diese Haltung speiste sich auch aus der Verschwörungstheorie von einer symbiotischen Verbindung von Juden und Kommunisten. Weitgehend mit Gleichgültigkeit nahm die Presse der Bauernbewegung den Judenmord zur Kenntnis.
Die verhaltenen, gleichgültigen oder zufriedenen Reaktionen jenseits der demokratischen Mitte und Linke standen, so Friedrich, in krassem Gegensatz zur Berichterstattung über Verbrechen an Polen wie etwa der blutigen Umsiedlungspolitik in der Region Zamość. Hier machte sich bereits so etwas wie eine Opferkonkurrenz bemerkbar. Die eigentlichen Opfer deutscher Terrorpolitik, so der verbreitete Tenor etwa bei der Bauernbewegung, war die polnische Landbevölkerung, die außer unter den Deutschen auch unter jüdischen Banden zu leiden hätte.
Friedrichs Arbeit vereint viele Vorzüge in sich: Grundsätzlich verweist sie zunächst auf den hohen Quellenwert der Untergrundpresse. Man erhält durch die Studie einen tiefen Einblick in die vielfältige politische Landschaft des polnischen Untergrunds. Zudem gelingt es Friedrich, ein lebendiges und differenziertes Bild vom polnisch-jüdischen Verhältnis unter deutscher Besatzung zu zeichnen, ohne dessen Verwurzelung in der Vorkriegsgeschichte Polens aus dem Blick zu verlieren. Damit legt er einen wichtigen Grundstein für das Verständnis des schwierigen und konfliktträchtigen polnisch-jüdischen Verhältnisses in der Nachkriegszeit. Eine eigenständige Publikation seiner bereits in der Dissertation erarbeiteten Ergebnisse hierzu wäre zutiefst wünschenswert.