Gleich nach der Wende gab es in Jena eine Ausstellung, betitelt: 'Das Kantische Evangelium'. Dort wurde der Jenenser Kantianismus der 90er Jahre des 18. Jahrhunderts dokumentiert, der exemplarisch und eindrucksvoll Aufschluß über die zeitnahe Rezeption und Wirkmächtigkeit der Philosophie Kants gibt.
2004 gab es in Halle einen großen Kongreß, betitelt: 'Christian Wolff und die Europäische Aufklärung'. Im Exposé des Kongresses heißt es: 'Die kultur- und geistesgeschichtliche Bedeutung Christian Wolffs im Zeitalter der Europäischen Aufklärung ist kaum zu überschätzen. Kein anderer Gelehrter hat auf die Bildung seiner Zeit und über die Grenzen seines Landes hinaus eine vergleichbare Wirkung ausgeübt. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts und darüber hinaus waren die Lehrstühle für Philosophie an den Hochschulen und Universitäten Deutschlands von Wolff-Schülern besetzt.'
Davon merkt man, schaut man sich die akademische Philosophie an, heute wenig. Wohl wissen wir, dass die Philosophie Kants aufgrund der durch sie vorgenommenen 'Revolution der Denkungsart' nach wie vor ständiger Bezugspunkt des Philosophierens ist. Viel weniger klar ist uns dagegen, in welcher Weise die Lehre Christian Wolffs noch vorkommen kann: ihr 'vorkritischer' Gehalt und die ausschweifende Art und Weise, in der sie präsentiert wurde, sorgen dafür, daß die Wolffische Philosophie nicht im Zentrum des zeitgenössischen Diskurses steht, ja nicht einmal besonders oft in universitären Lehrveranstaltungen thematisiert wird.
Wenigstens letzteres könnte sich durch den zu besprechenden Band jedoch ändern. Denn die Lehre Wolffs besser zugänglich zu machen, ist ' neben der Beförderung der Auseinandersetzung mit einer der wohl wesentlichsten Positionen der Aufklärung überhaupt ' ein Hauptzweck der von Günter Gawlick und Lothar Kreimendahl vorgelegten Ausgabe des 'Discursus Praeliminaris de Philosophia in Genere' (Einleitende Abhandlung über Philosophie im allgemeinen). Die Studienausgabe präsentiert den Text Wolffs in einer Übersetzung, die mit einer umfangreichen und kundigen Einleitung und einem Apparat (ink. Erläuterungen zum Text) versehen ist, der dem Leser alles mitteilt, was für das Textveständnis von Belang ist (zuweilen auch etwas mehr). Der für sein Werk 'repräsentative' Text Wolffs (so die Herausgeber in ihrem Vorwort) eignet sich in der Tat hervorragend zur Einführung in dessen Denken. Wolff bestimmt hier Wesen und Umfang der Philosophie (damit auch ihre Teile), entwickelt sein Verständnis der philosophischen Methode und des philosophischen Stils (der 'Didaktik'), um am Ende im Kapitel 'Von der Freiheit des Philosophierens' wissenschaftspolitische (Forderung eines liberalen geistigen Klimas zur Verfolgung wissenschaftlicher Zwecke) und philosophisch-systematische Erwägungen (Selbstdenken als methodisches Prinzip der Philosophie) zusammenzuführen.
Kurz und gut: der vorliegende Band erfüllt die selbstgesetzten Ansprüche der Herausgeber vollends. Er präsentiert in einer einer Studienausgabe angemessenen Form einen für die genannten Zwecke gut geeigneten Text Wolffs, der so das Verständnis von dessen Philosophie bei der geneigten Leser- und Studentenschaft sicherlich befördern wird.