'Es ist mir, allerdings unter rücksichtslosem Einsatz meiner Person gelungen, in den letzten Tagen mit nur dem halben Personal meine Aufgabe zu meistern. (...) Und auf diese Leistung bin ich froh und stolz.' Diese zunächst unscheinbar scheinenden Sätze könnten von jedem stammen, der eine große Herausforderung unter großen Anstrengungen bewältigt hat. Irmfried Eberl war aber nicht irgendjemand. Am 30. Juli 1942, als er diese Zeilen an seine Frau schrieb, war der 31-jährige Eberl Kommandant des Vernichtungslagers Treblinka im Nordosten des deutsch besetzten Polens. Treblinka war eines der insgesamt drei Vernichtungslager der so genannten 'Aktion Reinhardt', in denen mehr als 1,5 Millionen Juden, vorwiegend aus dem Generalgouvernement, unmittelbar nach ihrer Ankunft in den Gaskammern ermordet wurden. Wenige Tage vor dem zitierten Brief hatte das Lager Treblinka seinen 'Betrieb' unter der Leitung von Eberl aufgenommen. Täglich kamen Deportationszüge aus dem Warschauer Ghetto im Vernichtungslager an. Nur bis Ende August 1942 war Eberl dort Kommandant. Innerhalb dieser kurzen Zeit von kaum mehr als fünf Wochen war er für die Vergasung von rund 280000 Menschen verantwortlich.
Wer war dieser nur wenig bekannte Irmfried Eberl, auf dessen Konto so viele Morde gehen? Dieser Frage geht Michael Grabher in einem schmalen Band nach, der nun schon in zweiter Auflage vorliegt. Eberl wurde 1910 in Bregenz in ein Elternhaus geboren, das ausgesprochen nationalistisch, antisemitisch und kirchenfeindlich geprägt war. Beide Eltern und sein Bruder waren früh in entsprechenden Organisationen aktiv. Auch der junge Eberl fand schnell seinen Weg in dieses Milieu, in dem er sich während der Schulzeit heimisch zu fühlen begann. Konsequenterweise trat er schließlich 1931 in die NSDAP ein, während er in Innsbruck Medizin studierte. Als der NS-Aktivist Eberl wegen seiner Weltanschauung beim österreichischen Staat keine Anstellung fand, siedelte er nach Deutschland über, wo ihm zunächst nur mühsam der berufliche Einstieg glückte. Auch privat kam es zu einem Neuanfang. Er trennte sich von seiner Verlobten und heiratete Ruth Rehm, die bei seinem beruflichen Fortkommen eine wichtige Rolle spielen sollte.
Eberl fand Anstellungen im Gesundheitswesen und war nach Beginn der als 'Euthanasie' getarnten Ermordung Behinderter führend daran beteiligt. Ab Februar 1940 war Leiter der Mordanstalt Brandenburg und ab Herbst 1940 in Bernburg, wo er es 1941 zu einem monatlichen 'Pensum' von 1000 Morden schaffte. Nach der offiziellen Einstellung der 'Euthanasie' kam Eberl wie viele andere aus diesem Bereich auch zum Stab der 'Aktion Reinhardt', wo er seine bereits routinierte Mordpraxis fortführen konnte.
Nach dem Krieg blieb Eberl lange Zeit unbehelligt. Seine mörderische Tätigkeit in den 'Euthanasie'-Anstalten und in Treblinka verschwieg er bei der Entnazifizierung und bei seinen Bemühungen, wieder als Arzt zugelassen zu werden. Erst nach Erscheinen von Eugen Kogons Buch 'Der SS-Staat' geriet Eberl in Bedrängnis, da er dort als Leiter von Bernburg erwähnt wurde. Anfang 1948 wurde er verhaftet und mit Hilfe von Zeugen identifiziert. Einem weiteren Verfahren entzog er sich allerdings. Am 15. Februar 1948 erhängte er sich in seiner Zelle. Warum der Leser im schmalen Bildteil auch noch ein Foto des erhängten Eberl sehen muß, bleibt wohl Grabhers Geheimnis. Dokumentarischen Wert jedenfalls hat es keinen.
Grabher beschränkt sich leider häufig auf bloßes Referieren der Quellen und überfrachtet die Darstellung zudem mit ausufernden Zitaten. Rund die Hälfte des Kapitels über Eberls beruflichen und privaten Neuanfang in Deutschland zum Beispiel besteht aus Briefzitaten, die die Trennung von der Verlobten betreffen und nur mäßig interessant und relevant sind. Grabher hat allerdings auch einige wertvolle und höchst aufschlußreiche Quellen entdeckt, aus denen er auch, dankenswerterweise, ausführlichst zitiert. Dazu zählen Briefe Eberls an seine Frau wie der eingangs zitierte oder das von Eberl verfaßte zynische Kompendium möglicher unverdächtiger Todesursachen, das der Verschleierung des Massenmords in den Anstalten dienen sollte. Über weite Passagen hat man aber den Eindruck, eine kommentierte Quellensammlung und keine Biographie zu lesen. Die Bibliographie weist zudem auffallende Lücken auf. Yitzak Arads Standardwerk über die Vernichtungslager der 'Aktion Reinhardt' sucht man ebenso vergeblich wie Dietmar Schulzes Dissertation über die Heil- und Pflegeanstalt Bernburg. Trotz aller Mängel und Kritik bringt Grabher durchaus einiges Erhellende über einen bislang weitgehend unbekannt gebliebenen NS-Täter ans Tageslicht.