Die gesetzliche Regelung der aktiven ärztlichen Sterbehilfe des Königreichs der Niederlande ...

Die Vorschrift, wonach in den Niederlanden Sterbehilfe neuerdings unter gewissen Voraussetzungen als erlaubt angesehen wird, war Gegenstand von Erörterungen in den deutschen Zeitungen und anderen Medien. Nicht nur in den Niederlanden, sondern auch in Deutschland gibt es ja eine intensive Diskussion zum weiten Feld der palliativen Medizin, des würdigen Sterbens, der Patientenverfügung und der ethischen, medizinischen und rechtlichen Fragen der Sterbehilfe. In Deutschland besteht ein besonderes Problembewußtsein dadurch, daß manche Massenmorde der Nationalsozialisten von diesen mit der Bezeichnung der Euthanasie verbrämt wurden.

Ist die niederländische Regelung zur ärztlichen Sterbehilfe ein Modell für eine deutsche Regelung? Birgit Reuter kommt in ihrer vom bekannten Medizinrechtler Hans-Ludwig Schreiber betreuten Dissertation (publiziert in einer von den weiteren Stars des deutschen Medizinrechts Erwin Deutsch und Adolf Laufs herausgegebenen Buchreihe) zum Ergebnis, daß das nicht der Fall ist. Sie lehnt eine Straffreiheit bei ärztlicher Sterbehilfe ab. Neben rein rechtspolitischen Argumenten sieht sie auch rechtliche Gründe, an denen die Übernahme der niederländischen Regelung scheitern müsse, etwa das Legalitätsprinzip der Strafprozeßordnung oder die Unmöglichkeit, vom Arzt, der Sterbehilfe geleistet hat und eine Todesbescheinigung ausfüllt, eine formularmäßige Erklärung zu verlangen, welche ihn dem Risiko einer Bestrafung aussetzt. Auch ein pauschaler Verweis auf den Schutz der Menschenwürde soll als Argument dienen. Mit Gegenargumenten zu ihrer Position, welche man ja in der Fachliteratur leicht finden könnte, setzt sich die Verfasserin bedauerlicherweise nicht näher auseinander.

Breiten Raum widmet sie einer Schilderung politischer und juristischer Vorgänge im Vorfeld der neuen niederländischen Regelung. Der Leser wird mit Details einzelner Rechtsfälle konfrontiert, ihm werden Meinungsbekundungen und Rechtsakte einiger niederländischer Institutionen ausgebreitet, und hierbei nimmt die Verfasserin teilweise harsche Bewertungen vor bis hin zu der provokanten These, langfristig würden in unserem Nachbarland auch Fälle von Mord und Totschlag zu Bagatellsachen erklärt. Leider wird die große Fülle an Material nicht analytisch aufbereitet: Welchen Stellenwert die beteiligten Institutionen und Verfassungsorgane (etwa der Staatsrat oder der Gesundheitsrat) im niederländischen Rechts- und Gesellschaftssystem haben, welche Grundpositionen, welche Interessen und welches Gewicht die relevanten Akteure haben - das sind Fragen, ohne deren Klärung dem Leser ein richtiges Verständnis der geschilderten Abläufe nicht vermittelt werden kann, welche die Verfasserin aber im breiten Strom ihrer berichtenden und kommentierenden Darstellung nur hier und da kursorisch und unsystematisch berührt. Und so wirken ihre eigenen, immer wieder einfließenden Wertungen, so treffend sie auch sein mögen, auf den kritischen Leser nicht als Ergebnis eines Bemühens um Fairneß oder Objektivität, sondern als subjektive Meinungen, so als hätte die Verfasserin sich nur zu dem Zweck ausführlich mit der niederländischen Situation und mit einer großen Fülle wissenschaftlicher wie nichtwissenschaftlicher niederländischer Quellen befaßt, um doch nur Vorurteile bestätigt zu finden.

Jedenfalls ist der methodische Ansatz verfehlt, eine als Dokumentation bezeichnete Darstellung ständig zu vermischen mit - teilweise äußerst überheblichen und fast nie nachvollziehbar begründeten - Bewertungen.
Der Wert des Buches liegt dennoch in der deskriptiven Ausbreitung von viel Material, welches hier zum großen Teil erstmals der deutschen Leserschaft zugänglich gemacht wird. Dies ist verdienstvoll. Das Buch ist eine unverzichtbare Quelle für alle, die sich wissenschaftlich oder rechtspolitisch mit Fragen wie der folgenden beschäftigen wollen: ist ein gesamteuropäischer Wertungsansatz zu dem schwierigen Problemfeld der Sterbehilfe in einer künftigen gesamteuropäischen Rechtsordnung denkbar, oder aber sind die herrschenden ethischen Vorstellungen schon in zwei so ähnlichen Ländern wie den Niederlanden und Deutschland nicht in einer Konsenslösung vereinbar?
Aber die grundlegende wissenschaftliche Untersuchung, welche dem deutschen Leser den Hintergrund und den Stellenwert der niederländischen Diskussion zur Sterbehilfe mit ihren juristischen und gesellschaftspolitischen Aspekten erklärt, muß erst noch geschrieben werden - weil die Verfasserin die Chance, eine solche Untersuchung vorzulegen, leider nicht nutzen konnte.