Weinbau im römischen Ägypten

Die Zahl der veröffentlichten griechischen Schriftzeugnisse aus dem Ägypten zwischen der makedonischen und der arabischen Eroberung (332 v. Chr. - 643 n. Chr.) ist hoch und beläuft sich auf etwa 40 000 Papyri und Ostraka. Rund die Hälfte des Materials betrifft die römische Epoche und beleuchtet den Alltag in dieser Zeit zwar nicht lückenlos, aber doch höchst detailliert. Geschrieben wurde zu allen Zeiten vor allem aus wirtschaftlichen und rechtlichen Gründen, und die Papyruskunde ist dem entsprechend seit ihren Anfängen vor über 100 Jahren von wirtschaftsgeschichtlichen Untersuchungen begleitet gewesen. Insbesondere in den jüngsten Jahrzehnten sind mehrere wirtschaftsgeschichtliche Untersuchungen zu ganz unterschiedlichen Aspekten des römischen Ägypten erschienen, besonders zu Preisen, Mieten / Pachten, Kosten und Löhnen bis zum Regierungsantritt Diokletians (von H. - J. Drexhage. St. Katharinen 1991), zu Bewirtschaftung von Landgütern (D. P. Kehoe, Management and Investment on Estates in Roman Egypt During the Early Empire. Bonn 1991; D. Rathbone, Economic Rationalism and Rural Society in Third-Century A. D. Egypt. Cambridge u. a. 1991), zu Währungsfragen (K. Maresch, Bronze und Silber. Papyrologische Beiträge zur Geschichte der Währung im ptolemäischen und römischen Ägypten bis zum 2. Jahrhundert n.Chr. Opladen 1996), zur wirtschaftlichen Lage in einem einzelnen ägyptischen Gau (J. Rowlandson, Landowners and Tenants in Roman Egypt. The Social Relations of Agriculture in the Oxyrhynchite Nome. Oxford 1996), zum Verschuldungsgrad der Bevölkerung (B. Tenger, Die Verschuldung im römischen Ägypten [1. - 2. Jh. n. Chr.]. St. Katharinen 1993). Zu ihnen gesellt sich nun die vorliegende Studie, welche höchst detailliert und außerordentlich anschaulich nahezu alle denkbaren Aspekte des Weinbaus im römischen Ägypten darstellt.
Wein wurde in der ganzen römischen Mittelmeerwelt angebaut, und Ägypten bildet darin keine Ausnahme. Von der Bedeutung und den Anforderungen des Weinbaus zeugen u. a. die römischen Agrarschriftsteller. Weinbau ließe sich folglich schlicht als Nacherzählung darstellen (vgl. D. Flach, Römische Agrargeschichte. München 1990, S. 346 m. w. N. zu 'Wein' und 'Weinanbau'). K. Ruffing verknüpft hingegen immer wieder die Theorie, welche die Agrarschriftsteller beschreiben, vorsichtig mit der in den Papyri faßbaren Praxis. Er vermittelt damit übrigens einmal mehr die zunehmende Erkenntnis, Ägypten habe im römischen Reich zwar mancherlei Eigenheiten gehabt, eine 'Sonderrolle' der Provinz aber spiegele nur die einzigartige Vielfalt der Zeugnisse vor.
Insbesondere zeichnet K. Ruffing ein anschauliches Bild von der Praxis des Weinanbaus in Ägypten. Das umfaßt die faßbare geographische Verteilung der Anbauflächen, den Anbau des als Rebstützen benötigten Rohrs, die zwischen den Reben angelegten Zwischenkulturen, das diverse Zubehör und Gerät sowie die beim Weinbau anfallenden Arbeiten, ferner die Aquisition der Anbauflächen durch Pacht und Kauf sowie die ermittelbare Größe der Anbauflächen. Der Autor läßt damit u. a. erkennen, welche wirtschaftlichen Faktoren auf die Vertragsgestaltung einwirkten. Sozialgeschichtlicher Natur sind Ausführungen zu den Eigentümern von Weinland und zum sozialen Status von Pächtern und Verpächtern. Ins Fiskalrecht führt ein Abschnitt zu den diversen, beim Weinanbau zu erbringenden Abgaben, und betriebswirtschaftlich sind Ruffings Analysen zur Rentabilität des Weinbaus im römischen Ägypten. 42 Beleglisten, 37 Tabellen und (im Anhang, S. 481 - 498) 24 Tabellen ergänzen die ohnedies anschauliche Darstellung.
Offenkundig kann man Ruffings - auch sprachlich angenehme - Untersuchung aus vielen Blickwinkeln mit Gewinn lesen. Anzumerken ist, daß diese Dissertation jener Wissenschaftlergeneration entstammt, welche zugunsten der neugeschaffenen Juniorprofessoren zu 'verschrotten' ist - ob die geisteswissenschaftliche Zukunft in Deutschland noch Rezensionen erlauben wird, bleibt abzuwarten.