Mesopotamien
Die altbabylonische Zeit

Die Reihe 'Annäherungen' ist der Darstellung von Einzelabschnitten der keilschriftlich bezeugten Kulturen gewidmet. Nach 'Annäherung 1' (J. Bauer / R.K. Englund / M. Krebernik, Mesopotamien: Späturuk-Zeit und Frühdynastische Zeit. OBO 160/1 ' 1998) und '3' (W. Sallaberger / A. Westenholz, Mesopotamien: Akkade-Zeit und Ur III-Zeit. OBO 160/3. ' 1998) liegt nunmehr der die altbabylonische Epoche betreffende Band vor. Hierin haben D. Charpin, D.O. Edzard und M. Stol die drei Bereiche 'Histoire politique du Proche Orient amorrite (2002-1595)' (S. 23-482), 'Altbabylonische Literatur und Religion' (S. 483-640) bzw. 'Wirtschaft und Gesellschaft in altbabylonischer Zeit' (S. 641-976) dargestellt. Der Quellenreichtum dieser Periode hat sich beeindruckend in ebenso umfang- wie detailreichen, von der langjährigen Erfahrung, dem persönlichen Blickwinkel und der kompetenten Vorgehensweise der Verfasser geprägten Synthesen niedergeschlagen. Entstanden ist ein Handbuch, das dem Fachmann eine den Forschungsstand bestens berücksichtigende und weiterführende Darstellung der altbabylonischen Epoche bietet und dem der Thematik ferner Stehenden eine ausgezeichnet lesbare und anregende Einführung in diese Periode. Neben der minutiösen Schilderung des historischen Geschehens sind aus dem geschichtlichen Abschnitt Charpins einleitende Ausführungen zum zeitlichen und räumlichen Rahmen sowie zu den Quellen (S. 29-56) besonders erwähnenswert, ferner jene ' vielfältige Aspekte erörternde ' zum Staatswesen ('La vie politique au Proche-Orient vers 1765'; S. 232-316) sowie die umfangreichen Appendices (S. 385-480), welche Dynastie- und Herrscherlisten (A), ein 'Who's who' der ammuritischen Herrscher (B) und vor allem eine eigenständige Bibliographie enthalten. Zwei Faltkarten sind am Ende beigegeben. D.O. Edzard, der vor 40 Jahren bereits zu der auch heute noch beachtenswerten 'Fischer Weltgeschichte' beigetragen hatte, hat hier seinen Schwanengesang beigesteuert; er ist 2004 völlig überraschend verstorben. Der literarische Teil seines Beitrags behandelt auch Omina, Rechtskodizes und Königsinschriften; als von breiterem Interesse erwähnenswert sind daraus vor allem die einleitenden Bemerkungen zum Literaturbegriff und den literarischen Genres, die zahlreichen Exkurse mit Bearbeitungen literarischer Texte und den literarischen Teil beschließende Bemerkungen zum Übersetzen und Edieren. Hinzuweisen ist ferner auf die Vielfalt des der Religion gewidmeten Teils. M. Stols Darstellung von Wirtschaft und Gesellschaft behandelt 'Die Bevölkerung', 'Das Recht', 'Die Stadt', 'Das Haus', 'Die Familie', 'Ausgewähle Familien', 'Dienst', 'Steuer', 'Die Armee', 'Fischer', 'Die Landwirtschaft', 'Preise, Löhne, Kredit', 'Die Edikte', 'Der Handel', 'Silber, 'Geld' in altbabylonischer Zeit', 'Sklaven', 'Die Palastgeschäfte', 'Tempelgeschäfte', 'Das Vieh', 'Nahrung und Körperversorgung'. Unter diesen Hauptbegriffen und deren Untergliederungen sind die einschlägigen Gesichtspunkte eingehend und anhand von vielen Quellen erörtert. Die Vielfalt der Themen läßt sich naturgemäß nicht paßgenau und erschöpfend unter solche Begriffe pressen; übergreifende Fragestellungen nötigen zum Blättern und Suchen ' zweifellos ein ebenso ertragreiches wie anregendes Unternehmen. Aber das gilt entsprechend für den gesamten Band! Den Codex Hammurapi beispielsweise erörtern unter verschiedenen Blickwinkel alle drei Verfasser ' als Quellengattung Charpin und Edzard (S. 50f. bzw. 548f.; zum Quellenwert vgl. auch S. 333f.), die Bilddarstellung der Stele Charpin (S. 275), den Charakter als herrscherliche Maßnahme und als Gesetz Charpin und Stol (S. 310-315 bzw. 655-658). Beachtenswert für die eigenständige Sichtweise ist, daß Stol in aller Kürze unter Hinweis auf einige entsprechende Zeugnisse für den Gesetzescharakter eintritt, ohne die Gegenmeinung weiter zu diskutieren, aber mit den nötigen Literaturangaben, während Charpin, m.E. mit Recht, den Gesetzescharakter verneint. Hinweise auf Regelungen der keilschriftlichen Rechtssammlungen der altbabylonischen Epoche, auf Rechtsfragen und auf Rechtsverhältnisse findet man wiederum auch außerhalb des der Rechtsordnung gewidmeten Abschnitts (S. 654-663) überall in Stols Beitrag; so werden Haussklaven außerhalb des Sklavenabschnitts unter 'Familie' erwähnt (S. 702 bwz. 910-918). Erst der eingehendere Blick auf die Quellen kann und muß schließlich den Leser daran erinnern, daß die Verhältnisse der altbabylonischen Epoche im mesopotamischen Großraum gar nicht so einheitlich sein können, wie man vielleicht meinen möchte: Beispielsweise ist ein königliches Entscheidungsrecht über die Bestrafung eines geflüchteten Sklaven zwar für die altbabylonische Epoche belegt (S. 910), aber nicht für Mesopotamien selbst, sondern nur in einem Beleg aus Mari. Gerade die aus Mari stammenden Belege sind wiederum wichtige Quellen der politischen Geschichte der Hammurapi-Zeit.
Das detaillierte Inhaltsverzeichnis sowie der Namenindex, das Verzeichnis besprochener Wörter und das Register besprochener Texte und Textstellen (S. 977-1027) erschließen das Werk angemessen. Alles in allem wird der dringende Wunsch nach weiteren 'Annäherungen' geweckt.