Troia
Traum und Wirklichkeit. Der Ausstellungskatalog

Der neuerliche Streit um Troia ist allmählich abgeflaut. Für diejenigen, die Ohren hatten, geschah das schon auf der Tübinger Troia-Konferenz, auf der nach außen hin mit starken Bandagen gekämpft wurde, und diese Heftigkeit hatte sich noch einige Zeit lang in der Tagespresse fortgesetzt. Aber schon in Tübingen wurden drei zentrale Punkte, die vor allen Dingen den Streit ausgelöst hatten, allmählich aus dem Verkehr gezogen: Der eine betraf eine angeblich kompakte Bebauung der Unterstadt von Troia, der zweite eine angeblich hohe Bevölkerungszahl und der dritte die Rolle Troias als angebliche Drehscheibe des Handels - 'Troia' hier immer nur als die Bebauungsschichten bezeichnet, auf die es ankommt.
Die Besiedlung der Unterstadt wurde im Laufe der Tagung immer lockerer, die Bevölkerungszahl sank, und von der zentralen Rolle des Handels blieb nicht mehr viel übrig; das allerdings auch durch den schlechthin ins Schwarze treffende Fachvortrag von Frank Kolb (der andere Hauptkontrahent, Manfred Korfmann, hatte übrigens keinen Fachvortrag gehalten).
Ein eher philologisch-historischer Streitpunkt war die Frage, ob in der Ilias Sachverhalte der mykenischen Zeit aufbewahrt sein könnten. Trotz donnernder Dementis des im übrigen verehrungswürdigen Homerforschers Latacz (vgl. WLA 1/2002, S. 44f.) kam doch immer wieder das Bestreben zum Vorschein, so etwas liebend gerne nachweisen zu können. Das Hauptargument war (und ist), daß durch die Festigkeit des Versmaßes des Hexameters mehr Dinge über die vielen Jahrhunderte des Kulturbruchs transportiert worden seien, als das sonst in schriftloser Überlieferung der Fall ist. Die kritische Frage, warum denn, wenn das der Fall sei, nichts von der komplexen wirtschaftlich-gesellschaftlichen Situation der mykenischen Zeit bei Homer vorkomme, blieb unbeantwortet - wenn man von der rührenden Bemerkung von anderer Seite absieht, daß 'die das eben rausgestrichen' hätten; als ob Homer nicht von Restbeständen anderer früherer Entwick-lungsphasen strotzte, die man stehengelassen hat.
Das wunderschöne Begleitbuch zur Troia-Ausstellung, das nicht wenig Insinuationen einer historischen Kontinuität zwischen Mykene und Homer enthielt, war kein eigentlicher wissenschaftlicher Katalog. Wenn das kritisch angemerkt wurde, wurde repliziert, der Katalog komme noch, er sei leider nur nicht rechtzeitig fertig geworden. Jetzt ist das gemeinte Buch da, und es gibt wenig Anlaß für kritische Bemerkungen. Zwar ist es immer noch kein eigentlicher Fachkatalog mit ausführlichen, vielleicht dann auch manchmal langweiligen wissenschaftlichen, mit Literaturangaben versehenen Beschreibungen der ausgestellten Gegenstände: Es ist ein 'Ausstellungsführer', der den Besucher Raum für Raum durch die Ausstellung führt und der bei den ausgestellten Objekten jeweils den Herkunftsort angibt. Im flüssig geschriebenen Text wird auf die Stücke so eingegangen, daß auch der Leser, der nicht in der Ausstellung ist, ein lebendiges Bild dieser schönen Performance bekommt.
Inhaltlich waltet hinsichtlich der Streitpunkte größte Vorsicht und Zurückhaltung ob, so daß es Beck-messerei wäre, nun mit der Lupe nach Anstößen zu suchen. Den Löwenanteil nimmt Homer in An-spruch, und es ist für denjenigen, der Homer liebt, eine große Freude, sich dadurch der Hoffnung hingeben zu können, daß hin und wieder jemand dazu gebracht werden könnte, Homer selber in die Hand zu nehmen.
Außerordentlich begrüßenswert ist es, daß ferner auf die Nachwirkungen Homers in den späteren Jahrhunderten eingegangen wird, genauso wie am Schluß noch einmal die Nachwirkungen Troias und des ganzen troianischen Krieges sichtbar gemacht werden. Dazwischen dann sehr informative Berichte über die Ausgrabungen Korfmanns, die ebenfalls dazu geeignet sind, weiteres Interesse zu wecken. So endet diese Besprechung versöhnlich und weiterführend zugleich, und das ist ja das Beste, was man sagen kann.