Politische Publizistik 1913 '1933

Die politische Publizistik Ernst Jüngers bis einschließlich 1933 enthält für den keine wirklichen Überraschungen, der sich mehr oder Besseres als nationalistisches Drauflosschwadronieren erwartete, umgekehrt aber wird man gewiß nicht sagen können, daß wir es hier schon durchgängig mit Glanzleistungen Jüngerscher Prosa zu tun hätten. Im Gegenteil kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Texte der ersten Jahre nach dem Krieg durch etwas geprägt sind, das man sich scheut, auf jemanden anzuwenden, der vier Jahre lang im Feuer gelegen hat, aber es hilft nichts: Die Texte haben oft etwas Primanerhaftes. Dieses und manche andere Simplizität mag zunächst an den Adressaten der Artikel liegen, die vor allem aus den Angehörigen des 'Stahlhelm' bestanden - der großen, immer bürgerlicher werdenden Organisation ehemaliger Frontsoldaten - und gewiß hat auch das Niveau dieser auf die Dauer den Ansprüchen Jüngers nicht genügenden Leserschaft dazu geführt, daß er sich von der Standarte, der Zeitschrift des 'Stahlhelms', trennt und in kleinen elitären nationalistischen Blättern publizierte.
Hinzu kommt, daß Jünger ohnehin mehrfach selber ausspricht, daß die Vertreter des Nationalismus nicht gerade zu den scharf argumentierenden Intellektuellen zu zählen seien, daß bei ihnen das 'Gefühl' im Vordergrund stehe, einmal spricht er sogar von 'Herz'.
Bei ihm freilich ist es etwas anderes, nämlich das intensive, durchdringende Sehen in Bildern, die er durch eine immer schärfere und vollere Sprache zu evozieren vermochte, die zum ersten Mal in dem 1928 erschienenen Abenteuerlichen Herzen an die Öffentlichkeit trat, und die in Auf den Marmorklippen von 1939 ihren Höhepunkt erreichte. Diese Sprache tritt allmählich auch in den vorliegenden Schriften hervor, nach meinem Eindruck zuerst 1925, dann in immer größerer Fülle, obwohl natürlich, auch durch den Gegenstand bedingt, unmittelbar Politisches vorherrscht. Dazu paßt, daß, zuerst 1927, der Vorwurf des Literatentums ihm gegenüber erhoben wurde, der ihn dann ständig begleitete - nicht zu Unrecht, und zum Vorteil für die deutsche Literatur.
Inhaltlich freilich gibt es einige Dominanten, die sämtliche Texte durchziehen. Das ist der antibürgerliche, antiliberale, antidemokratische Grundton, der ihn durchaus gelegentlich im Kommunismus keineswegs einen prinzipiellen Gegner sehen ließ, und der ihn durchgängig fordern ließ, eine gewaltsame Revolution habe den neuen, nationalistischen Staat herbeizuführen. Dieser zeichne sich durch vier Eigenschaften aus, nämlich national, sozial, wehrhaft und autoritär. Daß das schon verhältnismäßig früh keineswegs hurrapatriotisch gedacht war, zeigt die ebenfalls durchgängig geäußerte Vorstellung, daß die Revolution von 1918 und sogar der Verlust des Krieges einerseits kein Zufall, sondern zum Teil wegen der Jämmerlichkeit der Herrschenden des Wilhelminismus unvermeidlich waren - Jünger lehnt sogar einmal die Vorstellung vom 'Dolchstoß' ab! -, daß sie andererseits sogar positiv zu bewerten seien, weil sie eine Etappe auf dem Weg zur nationalistischen Revolution darstellten.
Was freilich die Nation und was 'national' sei, das bleibt dergestalt im Dunkeln, daß Jünger sich hier im besonderen Maße auf das Gefühl und die Undefinierbarkeit dieses Begriffes zurückzieht und allenfalls sich möglicherweise widersprechende Äußerungen wie die tut, einerseits sei der Nationalismus eine internationale Erscheinung, andererseits gehöre der Imperialismus wesensmäßig zum Nationalismus. Der Nationalismus war schlicht eine nicht weiter explizierte 'Idee', und so versteht man Ernst von Salomons Bemerkung in seinem Fragebogen, man habe damals 'in der Idee gelebt'. Angemerkt sei aber eine Jüngersche Besonderheit, die sich wohl von allen anderen Gruppen abhebt, und die schließlich abermals im Abenteuerlichen Herzen und im Arbeiter mündet: Jünger ist schon früh nicht technikfeindlich, sondern sieht in den 'Maschinen' ein Faszinosum, das man auch innerlich akzeptieren müsse, und er verherrlicht nicht rückwärtsgewandt ein verkitscht vorgestelltes Landleben, sondern für ihn ist die Großstadt ebenfalls ein faszinierendes Phänomen der Gegenwart, das zu bejahen sei.
Das alles dürfte bei den anderen nationalistischen Gruppen anders gewesen sein, erst recht bei der nationalsozialistischen, bei der zudem noch der Rassegedanke ihre Weltanschauung entscheidend prägte. Sie erscheint bei Jünger zunächst nur als eine unter vielen, in der er auch Positives sah, aber je stärker sie wird, um so deutlicher setzt sich Jünger insbesondere von ihrem biologischen Rassegedanken ab: 'Rasse' ist bei ihm, wie ursprünglich überhaupt im 19. Jahrhundert, eine charakterliche Eigenschaft.
Kommentar und Register sind vorzüglich, ersterer gelegentlich redundant - mußten Napeoleon, Goethe und Karl Marx als 'Kaiser der Franzosen', 'deutscher Dichter' und 'deutscher Philosoph und Revolutionär' mit den Lebensdaten vorgestellt werden? Einige Male fehlt etwas, so wäre ein Hinweis auf die bisher einzige Biographie von Salomons (Markus Josef Klein, Ernst von Salomon. Eine politische Biographie, Limburg: San Casciano 1994) hilfreich gewesen. Nachzutragen wäre vielleicht auch, daß zu den Mitgliedern der 'Artamanen' immerhin auch Rudolf Höß gehörte, der zeitweilige Kommandant des Vernichtungslagers Auschwitz, und daß das Todesdatum 1946 bei Alfred Rosenberg darauf beruht, daß er in Nürnberg gehängt wurde. Auf der anderen Seite enthält der Kommentar willkommene Zitate aus Jüngers noch unveröffentlichtem Nachlaß, darunter zahlreiche Briefstellen.