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Ich brauche einen Liebhaber, der mich am Denken hindert - WLA-Online - Wissenschaftlicher Literaturanzeiger
Ich brauche einen Liebhaber, der mich am Denken hindert
Katherine Mansfield. Eine Biografie

„Am besten ist es, im Bett zu bleiben und von da aus widerwärtig zu sein.“ Angst, Schwindsucht und ein Lebenswerk. Zu einer neuen Biographie über Katherine Mansfield

Lady Ottoline Morrell, Exzentrikerin und Gönnerin literarischer Genies (und von diesen nicht immer dankbar behandelt), schrieb: „Katherine Mansfield sah sich ebenso selbstverständlich als Schriftstellerin wie Queen Victoria als Königin.“ Virginia Woolf, die sich zu einer der bedeutendsten Schriftstellerin der Moderne entwickeln würde, achtete Mansfield als Schriftstellerin und gab zu: „Du bist die einzige Frau, bei der ich mich danach sehne, über das Schreiben zu reden“, und sie gesteht sich ein, dass Mansfield die einzige Autorin sei, auf die sie neidisch sein könne. Das Verhältnis der beiden Frauen war eng, wenn auch spannungsreich und nicht frei von fein ziselierten Bosheiten.

Katherine besuchte die Woolfs in Asheham und in Richmond. Als sie am 12. Januar 1916 zum ersten Mal im Haus der Woolfs dinierte, schreibt Virginia in ihr Tagebuch: „Wir würden uns beide wünschen, dass der erste Eindruck von K. M. nicht wäre, daß sie stinkt wie eine – nun, Zibetkatze, die sich zu einer Straßenstreunerin entwickelt hat. Wirklich, ich bin etwas geschockt von ihrem – auf den ersten Blick – gewöhnlichem Aussehen; solche harten & vulgären Züge. Aber wenn dieser Eindruck verblasst, ist sie so intelligent & unergründlich, dass Freundschaft rasch erwidert wird.“ Zugleich war sie von der Intelligenz und von der literarischen Begabung Katherine Mansfields fasziniert. Tatsächlich freunden sich die beiden Frauen an, doch „es wird eine Freundschaft, die wie Leonhard Woolf bestätigt, nicht nur von Tiefe, sondern auch von Mißtrauen und Eifersucht geprägt sein wird“, erklärt Michaela Karl in ihrer Biographie.

„Wenn sie nicht zusammen waren, betrachtete Katherine Virginia mit Argwohn und Feindseligkeit, was Virginia irritierte und verärgerte und herablassend gegenüber Katherines billigem Parfüm und ihrer billigen Sentimentalität reagieren ließ. Aber sobald sie sich sahen, fiel das in der Regel weg, und es herrschte eine tiefe Übereinstimmung und Gemeinsamkeit zwischen ihnen“, berichtet Leonhard Woolf in seinen Erinnerungen.

1917 überarbeitete Katherine Mansfield ihre Erzählung „The Aloe“ (1918 unter dem Titel „Prélude“ in der Hogarth Press veröffentlicht). Der Text kam „durch die allmählich sich entwickelnde Freundschaft mit Virginia Woolf zustande. Die Annäherung dieser beiden labilen, empfindlichen, außergewöhnlichen Frauen ging sehr zögerlich vonstatten“, schreibt Claire Tomalin in ihrer Biographie „Katherine Mansfield. Eine Lebensgeschichte“. Beide Frauen waren, aus unterschiedlichen Gründen, immer wieder gefährdet, von physischen und psychischen Einbrüchen bedroht.

Doch Katherine Mansfield hat mit ihren Ressentiments gegenüber der Bloomsbury Group, ihrem elitären Gehabe, ihrer Klatschsucht Recht, denn Virginia Woolf lässt Katherine stets ihre Klassenzugehörigkeit spüren. Und es gab auch diesen bereits zitierten Neid auf Katherines Werk – der aber bisweilen auch kleinliche und bösartige Züge annehmen kann: Als am 20. April 1920 eine hymnische Besprechung von Katherines Erzählung „Je ne parle pas français“ erscheint, schreibt Virginia in ihr Tagebuch: „Außerdem bekomme ich fürchterliche Zuckungen, wenn ich die Lobeshymne über K. M. im Athenäum lese. Vier Dichter wurden ausgewählt; sie ist darunter. Natürlich trifft Murry die Wahl.“

Doch Ende April treffen sich die beiden Frauen wieder. Ende Mai hält Virginia in ihrem Tagebuch eine andere Begegnung fest: „Anfangs eine permanente, verwirrende Förmlichkeit & Kälte. (…) Keine Freude oder Aufgeregtheit, als sie mich sah. Mir fiel auf, dass sie die Art einer Katze hat: fremd, gelassen, immer allein & wachsam. Und dann sprachen wir über Einsamkeit & ich entdeckte, dass sie meine Gefühle aussprach, wie ich es noch erlebt hatte. Woraufhin wir in Gleichschritt verfielen & uns unterhielten wie immer, so mühelos, als seien die 8 Monate nur Minuten gewesen. (…) Eine seltsame Wirkung geht von ihr aus, wie von jemandem, der für sich ist, völlig egozentrisch; ganz und gar auf ihre ´Kunst´ konzentriert.“ Wieder einmal muß Virginia feststellen, wie ähnlich sie einander doch sind.

Katherine Mansfield ist einer der wenigen Menschen, mit denen Virginia Woolf nicht nur über ihre Kunst offen sprechen, sondern auch jene von ihr so geschätzten „unbezahlbaren Gespräche“ führen kann, die sonst nur mit Leonard Woolf möglich sind: „Unbezahlbar in dem Sinne, dass ich mit niemanden sonst derart schwerelos über das Schreiben sprechen kann, ohne meine Gedanken mehr abändern zu müssen als hier beim Tagebuchschreiben.“

Später hat sie Angst um Katherine, die jedes Mal, wenn die Frauen sich wieder sehen, ein klein wenig kränker ist. An Rupert Brookes ehemalige Verlobte KaCox schreibt Virginia im August 1919: „Ich habe, was sie (d.h. Katherine Mansfield; d. Verf. in) betrifft, ein ziemlich düsteres Gefühl. Dir war sie, glaube ich, zu angemalt und affektiert für Deinen eher spartanischen Geschmack. Aber unter der Oberfläche ist sie alles mögliche Interessante und hat eine Leidenschaft für Schreiben, so dass wir religiöse Zusammenkünfte abhalten, bei denen wir Shakespeare preisen.“

Aber Virginia hat auch boshafte Seiten, die im Dezember 1920, anlässlich der Publikation von „Bliss and Other Stories“ zum Vorschein kommen: Sie schreibt, „ganz eifersüchtige kongeniale Schriftstellerin“ (Michaela Karl), in ihr Tagebuch: „Ich war froh zu hören, dass K. neulich Abend heruntergemacht wurde. Und warum? Teils, weil ich das undeutliche Gefühl habe, dass sie Reklame für sich macht; oder Murry sie für sie macht; & außerdem sind ihre Erzählungen im Athenaeum wirklich schlecht; doch im Grunde meines Herzens muß ich sie für gut halten, da ich mich freue, wenn man sie heruntermacht.“ Das ist weit mehr als der übliche boshafte Klatsch, wie er bei den Mitglieder/INNEN der Bloomsbury Group mit Vergnügen gepflegt wird; das ist Neid.

Im Februar 1921 wieder die „typische Bloomsbury-Manier: viel Intelligenz, Literatur und Intellektualität gepaart mit herzlosen Lästereien, heimlichen Affären, jeder Menge Boshaftigkeit“ (Michaela Karl): „Der Teufel hole diese Katherine! Wieso kann ich nicht die einzige Frau sein, die schreiben kann?“ Vom Dienstmädchen erfährt Virginia Woolf im Januar 1923 vom Tod der Freundin/Konkurrentin: „‘Mrs Murry ist tot! Es steht in der Zeitung!‘ Und dann empfindet man – was? Einen Schock oder Erleichterung? – Eine Rivalin weniger? Dann Verwirrung, weil man so wenig empfindet, und dann, nach und nach, Leere und Enttäuschung, schließlich eine Niedergeschlagenheit, aus der ich mich den ganzen Tag nicht befreien konnte. Als ich anfing zu schreiben, kam mir das so sinnlos vor. Katherine wird es nicht lesen. Katherine ist nicht mehr meine Rivalin. Ich bin jetzt großzügiger. Aber wenn ich auch dies besser kann als sie, wo ist sie, die konnte, was ich nicht kann? (…) Zwei Tage lang hatte ich das Gefühl, ich sei gealtert, und verlor den Antrieb zum Schreiben. (…). Vielleicht hatten wir etwas gemeinsam, das ich nie wieder bei jemand anderem finden werde.“

Ich habe die Äußerungen der Kollegin/Rivalin deshalb so ausführlich zitiert, weil Virginias Äußerungen mehr über sie selbst, die eigene Befindlichkeit aussagen als über Katherine Mansfield - auch wenn sie als eine/r der ersten das Genie Mansfields würdigte; darum die bisweilen heftige Feindseligkeit in ihrem Tagebuch. Und wie Woolf erging es wohl allen Menschen, die mit Mansfield zu tun hatten: Der Freundin Ida Baker (Lesley Moore genannt), den langjährigen Geliebten, dann Ehemann John Middleton Murry, einen Möchtegern-Schriftsteller und Literaturkritiker, dem Philosophen und Verehrer Bertrand Russell, den ersten Ehemann George Bowden, einen Musiklehrer (Katherine hatte ihn wohl nur deshalb geheiratet, weil sie durch einen Liebhaber - war es ihre bête noir, Floryan Sobieniowski? Oder war es Garnet Trowell? - schwanger geworden war? - Die Schwangerschaft endete vorzeitig durch eine Fehlgeburt); außerdem hatte sie Verbindungen Lady Ottoline Morrell und zu Schriftstellern wie D. H. Lawrence, Aldous Huxley, Francis Carco und S. S. Koteliansky.

Wer war Katherine Mansfield; warum schied sie die Geister wie keine andere Schriftstellerin ihrer Zeit; was waren die Kräfte, die auf ihr schöpferisches Genie und ihr Leben gleichermaßen einwirkten, zuletzt mit der Wucht eines niedersausenden Hammers? Jeffrey Meyers (1978) und Antony Alpers (1980) sind die ersten wichtigen Stimmen; Alpers hatte bereits 1935 eine erste Biographie veröffentlicht – Claire Tomalin nennt diesen Forscher „die größte (…) Autorität auf diesem Gebiet“. „Auch Professor Meyers ist außerordentlich belesen und verfolgt sein Thema mit Verve.“

Längst ist Katherine Mansfield zur anerkannten Schriftstellerin geworden (Max A. Schwendimann, in seiner betulichen, z. T. im Sprachduktus von Mansfield gehaltenen Biographie aus dem Jahre 1967, nannte sie noch einen „Geheimtip der modernen Literatur“) und wird daher auch im deutschen Sprachraum erforscht. Man kann Schwendimanns Biographie heute nicht mehr gut lesen; Forschung und Art und Weise der Annäherung ans Thema sind darüber hinweggegangen. 1982 publiziert der Athenäum Verlag die in Deutsche übersetzte Biographie von Pietro Citati.

1981 veröffentlicht Wolfgang Wicht im Insel Verlag „Katherine Mansfield, Ausgewählte Werke“ in zwei Bänden: ein Querschnitt aus Erzählungen, Gedichten, Briefen (von 1915-1922), dem Tagebuch (1915 und 1921) und den Rezensionen der Autorin. Dieser Querschnitt ermöglicht uns einen ersten Eindruck vom Werk Mansfields und somit ein Kennen Lernen. Jedem Band ist ein Foto Mansfields beigegeben. Zwei Jahre darauf werden von Mansfield „Briefe, Tagebücher, Kritiken“, von Christel Schütz publiziert, mit einem biographischen Essay von Elisabeth Schnack. 1992 veröffentlicht Vincent O´Sullivan (übersetzt von Eike Schönfeld) die Briefe Mansfields. 1987 (dt. 1990) veröffentlicht Claire Tomalin ihre sprachlich konzentriert erarbeitete Biographie (mittlerweile vergriffen).

Wichtig für nähere Erkenntnis indes sind Zeugnisse von Zeitgenoss/INNEN – ich rede hier nicht von den Karikaturen eines D. H. Lawrence, z. B. in „Liebende Frauen“ – sondern von den Erinnerungen der langjährigen Begleiterin (und nicht immer geliebten Freundin) der zuletzt schwerkranken Katherine, Ida Baker,1971, also sehr spät (und daher in den Daten nicht immer korrekt), geschrieben und publiziert; erst 1998 folgte die deutsche Übersetzung („Ein Leben für Katherine Mansfield. Erinnerungen“). Einen guten Überblick, mit zahlreichen Zitaten versehen (auch um die Leser/INNEN neugierig aufs Werk zu machen), bietet die 1996 veröffentliche Bildbiographie („Katherine Mansfield. Leben und Werk in Texten und Bildern“) von Ida Schöffling.

Und jetzt also von Michaela Karl eine neue Biographie, sehr umfassend, sehr eingehend, detailliert. Der Titel ist indes irreführend, und aus dem Zusammenhang gerissen; Katherine Mansfield war immer eine Person, der Denken, also Schreiben, zentral war und blieb. Auch das Titelbild ist mir widrig: eine stilisierte, etwas karikaturenhaft anmutende bunte Zeichnung der Schriftstellerin – dabei gibt es – abgesehen von etlichen Fotografien – ein zu Unrecht heute kaum bekanntes Ölgemälde von Anne Estelle Rice (das Bild ist – leider nur in Schwarzweiß, in der Bildbiographie von Ida Schöffling wiedergegeben; eine farbige Wiedergabe fand ich in einem Werbemagazin für Neuerscheinungen) aus dem Jahre 1918: Katherine sitzt, in einem brandroten Kleid, vor einer Blumentapete; in ihren Händen hält sie ein Buch. Die Porträtierte ist stark geschminkt (woran ja Virginia Woolf Anstoß nahm), sie trägt die modische Bubifrisur, die für sie typisch wurde. Das Gemälde von Anne Estelle Rice verdient es, bekannter zu werden.

Michaela Karl braucht einige Zeit, um „in Fahrt zu kommen“, sich dem Thema intensiv und mit Sachkenntnis zu nähern. Der „Prolog“ beginnt mit einer Frage: „Wer gehört für Sie zu den bedeutendsten Briten? Queen Elizabeth oder Queen Victoria? Paddington Bär oder Winnie the Pooh? Winston Churchill oder Emmeline Pankhurst? Richard III. oder Lady Macbeth? Agatha Christie oder Jan Fleming? Jane Austen oder die Brontë-Schwestern? Sherlock Holmes oder James Bond?” Es folgen weitere Aufzahlungen of „eminent English (Wo)men.“ Die Autorin nennt als eine/n der wichtigsten Brit/INNEN die Duchess of Bedford. „Die Hofdame Queen Victorias gilt als Erfinderin des Afternoon Tea. Weil der Herzogin zwischen Lunch und Dinner oft etwas flau im Magen war, bat sie ihre Zofe, ihr am späten Nachmittag immer Tee mit Gebäck zu servieren. Bald pflegte sie zu diesen Teestunden Gäste einzuladen, die wiederum davon so begeistert waren, dass sie ihrerseits Teestunden abhielten und sich so still und heimlich eine Tradition entwickelte, für die die Engländer bis heute weltberühmt sind: die nachmittägliche Tea Time, bevorzugt zwischen vier und fünf Uhr.“ Es ist eine „Auszeit von der Hektik des Tages“, mit „Sandwiches, Scones samt Marmelade und Clotted Cream“ und kleinem Gebäck. Und darum möchte die Autorin ihre Leser/INN gern zu einer Teestunde einladen: mit Katherine Mansfield, „einer der bedeutendsten Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts und so ganz nebenbei eine echte Herausforderung für alle, die sich ihr nähern wollen – damals wie heute.“ Die gebürtige Neuseeländerin „war zu Lebzeiten vor allem eins: unbeliebt.“

Michaela Karl charakterisiert ihre Protagonistin und erwähnt ihre seelische Zerrissenheit: „selbstbewusst und vollkommen von sich überzeugt, achtete sie sie sich selbst dennoch am geringsten. Oft haßte sie, was sie eigentlich liebte, wollte autark sein und doch zu jemandem gehören.“ Zu ergänzen wäre hier: ihre schwere Erkrankung machte es ihr zunehmend unmöglich, autark zu sein, d.h. allein zu leben. Karl weiter: „Sie liebte leidenschaftlich: Frauen wie Männer (ihre sexuelle Neugierde wird ihr indes früh zum Verhängnis: unerwünschte Schwangerschaften, eine Gonorrhöe-Erkrankung; d. Verf. in), ihre Katzen und ihre japanische Puppe Ribni (…) Zugleich war ´Hass´ eine ihrer vorherrschenden Emotionen. Sie umgab sich gern mit Luxus (von D. H. Lawrence gehässig kommentiert; d. Verf. in), Dienstboten, teure Kleidung, Zigaretten (sie war eine starke Raucherin; d. Verf. in), Parfüm, Reisen und Wochenendeinladungen betrachtete sie als absolut angemessen für die Tochter eines Bankiers. Daß sie so oft pleite war, empfand sie hingegen als ausgesprochen ungerecht.“ Sie sagte von sich, dass sie „nicht für die Armut geschaffen“ wäre (aber wer ist das schon).

Katherine Mansfield war eine Frau mit „vielen Gesichtern: überragende Dichterin, Kritikerin (sie schrieb über hundert Buchkritiken für Zeitungen; d. Verf. in), Schriftstellerin, Übersetzerin und Herausgeberin, zugleich aber auch trotzige Tochter, lästige Pubertierende, verzweifelt Liebende, alles verschlingende Freundin, eifersüchtige Kollegin, Urbanista, Kolonistin, neue Frau, Modernistin, Komödiantin, tragische Heldin, Skandalnudel, Geliebte, Rachsüchtige, Ehefrau und Kranke.“ Durch ihre Freunde gibt es unterschiedliche, einander oft widersprechende Beschreibungen und Charakterisierungen Mansfields. Doch „ein Leben lang blieb sie „Außenseiterin“. Das lag u. a. auch an ihrer Herkunft aus den englischen Kolonien. In einer Notiz eines Lehrers ist von den „Maori-Mädchen“ die Rede. Gemeint waren Kathleen (so ihr ursprünglicher Name) und ihren Schwestern. Sie selbst war sich wohl dieser Widersprüchlichkeit im Wesen bewusst – warum sonst die vielen Namen und Pseudonyme einer Kunstfigur, die sie selbst erschuf.

Der Prolog bietet auch eine Übersicht über die Situation Londons zu Beginn des 20. Jahrhunderts – denn nach dem Tod von Queen Victoria (nur Queen Elizabeth regierte länger) befand sich das Land in einer Übergangsphase. Es gab technische Neuerungen: Moderne Verkehrsmittel wie Eisenbahn oder Dampfschiffe ermöglichten es immer mehr Menschen, Reisen zu unternehmen. Die Schulpflicht führte dazu, dass der Buchmarkt florierte. Doch in Ermangelung technischer Haushaltsgeräte war die Führung eines großen Haushalts ohne helfende Hände unmöglich: „Erst Erfindungen wie der Dosenöffner (1855), das elektrische Bügeleisen (1882) oder die Waschmaschine (1901) änderten dies.“ Doch die Hotelbetten waren „voller Ungeziefer und anderen Katastrophen“, wie der Schriftsteller Lytton Strachey; „Mitglied der formidablen Bloomsbury Group“, klagte. Die Bloomsbury Group, die zur intellektuellen Avantgarde gehörte, und entsprechend versnobt war, war für Katherine eine Welt „voll unergründlicher Spielregeln“, die sie als „Kolonistin“ nicht durchschauen konnte.

Nach dem Prolog (der sich, rückblickend, als hervorragende Einführung in die Lebens- und Werkthematik der Protagonistin entpuppt; beim ersten Lesen war ich ein wenig ungeduldig…) folgen die Kapitel. Sie sind so aufgebaut: Dem Zitat (oft von Oscar Wilde, den Mansfield verehrte), mit dem jedes Kapitel beginnt, folgt der jeweilige Titel, dann ein Vorblick in die Zukunft, durch einen kurzen Abschnitt aus dem Tagebuch Katherines – erst dann setzt der chronologische Bericht ein: angefangen beim Wetter, das in Neuseeland herrschte, als Katherine Mansfield geboren wurde (das Wetter war stürmisch). Manche Kapitel setzen auch mit einem Zitat Mansfields ein (z. B. Kapitel III.).

Die Biographie Karls hat zehn Kapitel. Dann folgt ein „Epilog“: sein Motto ist von Shakespeares „Hamlet“ und hat mit dem Charakter Mansfields zu tun: „Dies über alles: sei dir selber treu, / Und daraus folgt, so wie die Nacht dem Tage, / Du kannst nicht falsch sein gegen einen andern.“ Katherine Mansfield war bei ihrem Tod zwar eine bekannte Autorin, galt aber noch nicht als eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts (ein Beispiel wäre die ignorante Äußerung von D. H. Lawrence Murry gegenüber: Katherine sei „kein großes Genie“, sie hätte eine „reizvolle Gabe, eine sehr fein ausgebildete Gabe. Mehr nicht“. Was führte ihm die Feder? Neid? Da hatte Virginia Woolf mehr Größe bewiesen). Dies verdankt sie vor allem ihrem (so oft unzuverlässigen) Ehemann, John Middleton Murry, der nach Katherines Tod mit seiner Herausgebertätigkeit begann. Die Forscher/INNEN profitierten von Murry - dem allerdings vorgeworfen wurde, er würde noch „Katheines Knochen auskochen, um daraus Suppe zu machen“.

Man kann Murry allenfalls vorwerfen, dass er Katherines Briefe und Tagebücher anfangs zensierte, um seine Frau zu einer Heiligen zu stilisieren. Für die erste Biographie, die 1933 Ruth Elvish Mantz publizierte, schrieb Murry nicht nur das Vorwort, er stellte auch die meisten Unterlagen zur Verfügung und wurde als Co-Autor genannt. Erst Jahre später wurden auch die von Murry bislang unterdrückten Dokumente veröffentlicht, wovon Anthony Alpers Anfang der 1950er Jahre profitierte (seine Arbeit wurde 1980 neu aufgelegt). Auf Katherine Mansfield trifft zu, was Thomas Glavinic in seinem Roman „Der Jonas-Komplex“ (2016) so beschreibt: „Wer wir sind, wissen wir nicht. Beim letzten Durchzählen kam ich auf mindestens drei Personen, die jeder von uns ist. Erstens die, die er ist, zweitens die, die er zu sein glaubt, und drittens die, für die ihn die anderen halten sollen.“ Und viertens, ergänze ich, die die man in den Augen der anderen ist. Das wären dann allerdings unzählige Personen…

Für mich gibt es zwei Mansfield-Biographien, die ich beide, und aus unterschiedlichen Gründen, schätze. Für mich bleibt immer noch auch Claire Tomalins Arbeit fundamental und wichtig. Ihr Stil ist knapper, intensiver als die Arbeit Michaela Karls, die zu oft charakterisiert statt einfach zu schreiben, was geschah/getan wurde (angenehm bei Tomalin auch: die Anmerkungen stehen am Fuß der jeweiligen Seite; bei Karl muß man immer hin- und herblättern, um die jeweilige Anmerkung zu finden). Claire Tomalin charakterisiert ihre Protagonistin weniger, ist gewissermaßen - und in guter angelsächsischer Tradition - karg in persönlichen Bemerkungen, doch bringt sie die Tragödie dieser großen Miniaturistin auf den Punkt: Katherine Mansfield „brauchte Zeit, Freiheit und erträgliche Lebensbedingungen, unter denen sie arbeiten konnte; das Tragische war, dass sie nie alles auf einmal antraf. Wäre es ihr beschieden gewesen, so ist der Gedanke, sie hätte eine große Schriftstellerin werden können, nicht weit hergeholt. So jedoch verbrauchte sie den größten Teil ihrer Kraft damit, gegen ihre Familie und deren Erwartungen an sie anzukämpfen, gegen ihre ruinierte Gesundheit, gegen ihre Abneigung gegen Murrys Unzulänglichkeiten und, vielleicht noch mehr, gegen seine Vision von ihr und ihrer Rolle als Künstlerin in seinem romantischen Pantheon, schließlich gegen ihre Ängste und weit übertriebenen Schuldgefühle.“ Das ist eine so große Last an Problemen – das hätte auch eine gesündere Person in die Knie gezwungen. Doch Katherine Mansfield „kurzes Leben, das so modern und tätig war, hat die Ausmaße einer klassischen Tragödie“. „Sie leistete Knochenarbeit und schätzte die Anstrengungen, die ihr Handwerk von ihr abverlangte. Sie kämpfte tapfer, stur, hartnäckig, gegen zwei schreckliche und unheilbare Krankheiten an, die sie schließlich vernichteten. Wenn sie auch nie eine Heilige war, so war sie doch eine Märtyrerin und eine Heldin in ihrer Verwegenheit, ihrer Hingabe und ihrem Mut.“