"Wir haben es nicht gut gemacht."
Ingeborg Bachmann ⋅ Max Frisch. Der Briefwechsel

„Habe ich wieder etwas Wahnsinniges geschrieben?“ Zu einem neuen Band Korrespondenzen von Ingeborg Bachmann

Wer die eigene Existenz auf das Schreiben setzt, muß bedacht sein, „dessen Möglichkeiten bis auf den Grund auszuschöpfen“, schreibt Roland Berbig in seiner Untersuchung über die Briefschreiberin Ingeborg Bachmann (im Band „Ingeborg Bachmann. Eine Hommage“). „Eine dieser Möglichkeiten ist der Brief.“ Daß dessen Ausdrucksweise grenzenlos ist und unergründlich in die Tiefe, in die er zu verweisen vermag, wußte Ingeborg Bachmann.

Am 2. September 1959 schreibt sie ihrem Freund Hans Magnus Enzensberger: „ (…) anstatt den Brief wegzuschicken, habe ich ihn immerzu aufgehoben, um noch etwas dazuzuschreiben./ Du sollst immer Briefe schreiben, alles hinkritzeln, dann errate ich auch Deine Augen, die da zuschauen, die Hand, die kritzelt, alles, was ich nur wiedersehen kann, Ende Oktober.“

Bachmann hat, wie hier, den Brief, praktisch und pragmatisch, genutzt, und sie hat sich seiner bedient, „auch um ihr artifizielles Schreiben zu fixieren und Richtungen zu erproben. Nirgendwo sind die ausgeworfenen Lebensanker, die Halt suchten, verläßlicher zu entdecken als in den Briefen Bachmanns.“

Die Töne ihre Briefe sind polyphon. Anders als Theodor Fontane, der sich als Briefschreiber „erfindet“ und zu einer literarischen Gestalt wurde, und anders als Uwe Johnson (der ihm darin ähnelt), gleicht die Briefschreiberin Bachmann „einem Chamäleon“, schreibt Berbig. „Sie wechselt ihr Erscheinen, warf sich immer neue Gewänder über, liebte Kapricen und dachte gar nicht daran,sich unverwechselbar zu geben.“ Anfangs waren diese Haltung und das Tun unangestrengt, spielerisch vielleicht; später mühsam, zuletzt verzweifelt.

Das Unberechenbare dieser Literaturgattung fiel Bachmann leicht, „und sie hatte Gefallen daran. Diese Form, sich auszudrücken, erlaubte ihr, was Freunde und Freundinnen irritierte: Beziehungswelten zu entwerfen, die voneinander nichts wissen und nichts wissen sollten“ (Berbig).

Das glückte lange; erst nach dem Lebensunglück, das die Jahre von 1963 (am 4. Februar erklärt Bachmann Hans Werner Henze ihre Trennung von Frisch; die erste Trennungsentscheidung fiel indes schon im Juli 1958, nach der ersten gemeinsam verbrachten Woche) bis zu ihrem Tod eindunkelte, versagte die Gabe des Briefes ihre Dienste. Bachmann hätte viel darum gegeben, wenn dieser Teil ihrer schriftstellerischen Hinterlassenschaft unter Verschluß geblieben wäre – oder gänzlich ausgelöscht, und sie hatte von Max Frisch ihre Briefe zurückerbeten – was dieser verweigerte.

Aber die Nachwelt ist neugierig. In „langjährigen Recherchen“ folgte man den Spuren zu Nachlässen, „wo ihre Briefe zu vermuten waren“, und zog aus den Fundstücken Schlußfolgerungen. Ob Bachmann dieses Verfahren als „Wahrung des Briefgeheimnisses“ (wie der Titel einer Arbeit von Sigrid Weigel aus dem Jahre 1999 heißt) hätte gelten lassen, dürfen wir bezweifeln.

Bereits mit den ersten Zeugnissen, die entdeckt und publiziert wurden, konnte man ahnen, daß Bachmann im Unerschöpflichen des Briefes das ihr Gemäße entwickelte. Die bereits edierten Korrespondenzen mit Hans Werner Henze (2004), Paul Celan (2008), Hans Magnus Enzensberger (2018) und Ilse Aichinger/Günter Eich (2021) und die für deren Kommentierung genutzten archivierten Briefbestände „spiegeln die Virtuosität, mit der das geschah. Als wirke Magie, schreibt das jeweilige Gegenüber mit an den Briefen Bachmanns, und ihre Schreiben schmiegen sich dem Verhältnis an, um ins Leben zu holen, was in ihm steckt“ (Berbig). Bachmann spielt auf der Briefklaviatur ihrer Korrespondenzpartner/INNEN. Es war ein Lebensspiel – und es war zuletzt wohl ein Spiel auf Leben und Tod. „Welcher Engel rettet mich?“ fragt sich Max Frisch am 5. Dezember 1962.

Die Lektüre der Korrespondenz zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch – ein Trumm von insgesamt 1040 Seiten (davon allein 581 Seiten Korrespondenz, d. h. insgesamt fast dreihundert Dokumente), d. h. mit Zeittafel, Kommentar und Fotos – ist quälend. Ich denke hierbei nicht nur an die Bemerkung Elfriede Jelineks: daß die Leser/INNEN sich „wohnlich einrichten in den Schreien der Dichterin“. Es bleibt zudem – und nicht nur deshalb - ein Unbehagen, ein seelisches und moralische Unbehagen gleichermaßen, angesichts eines Briefwechsels, den Bachmann am liebsten gänzlich aus der Welt geschafft hätte. So  lesen wir diese Korrespondenz mit einem Gefühl des Unrechts; wie Voyeure.

Denn die Beziehung zwischen Bachmann und Frisch ist ein „gegenseitiges Verhängnis“, wie die Herausgeber/IN Thomas Strässle und Barbara Wiedemann formulieren. Ja, in der Asche ist gut lesen. Den Anfang dieser amor fou machte wohl Frischs Begeisterung von Bachmanns Werk:  An seine damalige Partnerin Madeleine Seigner schrieb er am 21. Juli 1957: „Ich las die Gedichte der Ingeborg Bachmann, die ich, soweit sie mir aufgehen, bedeutend finde, herrlich.“

Kurz vor Weihnachten desselben Jahres empfahl er in der damals linksliberalen Weltwoche in der Rubrik „Vorschläge für ein Buchgeschenk“ (zu der auch Hermann Hesse, Erich Kästner und Friedrich Dürrenmatt beitrugen) Bachmanns Gedichtbände „Die gestundete Zeit“ (1953) und Anrufung des Großen Bären“ (1956). Von Ingeborg Bachmann ist über Joachim Moras, einen der Gründer des Merkur, im Dezember überliefert, daß sie sich an nächtelangen Gesprächen über den soeben erschienenen „Homo Faber“ beteiligt habe: „Das Buch lässt uns nicht los – vielleicht hat Ihnen Holthusen berichtet, dass wir eines nachts mit Ingeborg Bachmann bis gegen drei in der Früh eigentlich von nichts anderem gesprochen haben als von  Ihrem Faber.“

Und vom israelischen Dichter David Rokeah, erfuhr sie aus einem Brief vom 4. Dezember 1957, wie sehr Frisch ihre „Anrufung des Großen Bären“ schätzte.

Es gibt also eine Vorgeschichte zu Max Frischs Brief vom Mai 1958, der als Beginn der Liebesbeziehung gelten kann. Frisch hatte beim NDR in Hamburg Bachmanns „Der gute Gott von Manhattan“ kennengelernt, noch bevor es gesendet wurde, und Bachmann geschrieben, um ihr seine Bewunderung mitzuteilen. Daraufhin teilte ihm Bachmann mit, daß sie unterwegs nach Paris sei und über Zürich komme und einige Tage bleiben könne (Brief vom Juni 1958).

Zu einem Treffen kommt es aber noch nicht: Frisch hält sich in Spanien auf.

Eine erste persönliche Begegnung findet im Juli 1958 in Paris statt. Bachmann hatte einen längeren Arbeitsaufenthalt geplant, Max Frisch reiste wegen der  Aufführung seiner Stücke im Théâtre des Nations.  An diesen 3. Juli erinnert sich die Ich-Erzählerin in „Malina“ mit einiger Bestürzung: Es sei „ein leerer oder ausgeraubter Tag“ gewesen, „an dem ich älter geworden bin, an dem ich mich nicht gewehrt habe und etwas geschehen ließ.“

Aber sie war kein wehrloses Opfer des werbenden Frisch. Durch den Briefwechsel wird Bachmanns aktive Rolle zu Beginn der Beziehung sichtbar: Zwar ist Frischs erster Brief zum Hörspiel nicht überliefert, doch gibt ihre Antwort keinen Hinweis darauf, daß er darin den Wunsch geäußert hätte, sie persönlich kennenzulernen. Bachmann schlug ein Treffen in einem Café vor dem Theater vor. Und sie verlangte offenbar von Anfang an eine klare Entscheidung: „ Ja oder  Nein“, wie es in Frischs Brief vom 6. Juli heißt.

Auch auf ihre Initiative hin findet nach dem Treffen in Paris eine mehrtägige Begegnung in Zürich statt. An deren Ende steht jedoch eine Trennung - auch weil Frisch noch mit Madeleine Seigner liiert ist. Die ersten Briefe sind wiederum  von Bachmann – Frisch zögert, läßt sie warten. „Ihr aktives Werben“, schreiben die Herausgeber/IN, „wird besonders im Vergleich zu Bachmanns eigenem Zögern nach der Wiederbegegnung mit Paul Celan im Oktober 1957 deutlich“: „Heute kann keine Post kommen. Vielleicht kommt lang kein Brief“, schreibt sie am 20. Juli 1958 an Frisch - ; am 25. Oktober 1957 ist es der werbende Celan, der schreibt: „Heute ist Poststreik, heute kann es keinen Brief von Dir geben.“

Die Überlieferung dieser Korrespondenz ist lückenhaft. Der erste Brief Frischs ist nicht erhalten, so beginnt der Briefwechsel mit der Antwort Bachmanns.

Auf den ersten Brief Bachmanns, der ganz von Hoffnung und Vorfreude auf eine Begegnung getragen ist, folgen unvermittelt zwei kürzere Teilabschriften von Briefen Frischs, in denen es bereits um Warten und Bangen geht und in denen sich in den ersten Rausch eine gewisse Bestürzung oder Ratlosigkeit mischt – ohne daß aus der Korrespondenz ersichtlich wird, warum das so ist. Bei aller Vorsicht angesichts der lückenhaften Überlieferung: Überraschend ist, daß es der gern als „unheilbar gesunde“ (wie Elfriede Jelinek formuliert) hingestellte Max Frisch ist, der  kundtut: „Ich liege neben dir, Ingeborg, und Du bist nicht da.  (…) Ich bin glücklich und ratlos. Ich liebe eine Frau, die mich liebt, und Du trittst in mein Leben, Ingeborg, wie ein langgefürchteter Engel, der da fragt Ja oder Nein. Und ich bin  glücklich und ratlos und zu feig, um über die Stunde hinaus zu denken. Ich will den Sommer mit Dir. Ich bin nicht verliebt, Ingeborg, aber erfüllt von Dir, Du bist ein Meertier, das nur im Wasser seine Farben zeigt. (…) Wenn ich Dich verliere (wenn ich dich verliere, bevor ich es gewagt habe, mit Dir zu leben), dann habe ich in meinem Leben auf nichts zu warten.“ (Brief vom 6. Juli 1958).

Die Fehlbestände an Frischs Briefen sind immer dann groß, wenn er von Hand schrieb, wie es anfangs, aber wohl auch im Oktober 1958 der Fall war, d. h. in der Zeit der Freude auf ein gemeinsames Leben. Die Lücken sind auch dann groß, wenn es keine Schreibmaschine gab, bei Krankenhausaufenthalten oder in Umzugssituationen. Da diese Situationen oft mit krisenhaften Phasen zusammenfallen, fehlen oft Briefe Frischs.

Auch für diesen  Briefwechsel gilt, was 2008 über den Briefwechsel Bachmann/Celan gesagt wurde: „Das bewegende Zeugnis zweier Menschen, die sich liebten und gegenseitig verletzten, die einander brauchten und doch miteinander nicht leben konnten.“ Im Fall Bachmann/Celan dauerte der Kampf um Liebe und Freundschaft fast zwanzig Jahre; die Beziehung Bachmann zu Frisch endete bereits Anfang 1963; die letzte persönliche Begegnung fand im Juli 1963 statt.

Die Beziehung war und blieb für beide Beteiligte belastend, ja, vergiftend. Max Frisch konnte sich, eigentlich, nie von  Bachmann lösen; noch sein Spätwerk kreist um das Scheitern dieser Liebe; und Bachmann erlitt mehrere schwere Zusammenbrüche (auch in einer Krise in der Beziehung zu Paul Celan erlitt sie, im September 1950, einen „Nervenkollaps“), sie mußte in Kliniken; auch ihr Schlaf- und Aufputschmittelverbrauch nahm beängstigend zu. Sie wurde mit dem Scheitern so wenig wie Frisch fertig. In ihrem Gedicht „Eine Art Verlust“ heißt es: „Nicht dich habe ich verloren / Sondern die Welt.“

In seinem Roman „Montauk“ schreibt Frisch 1975: „Das Ende haben wir nicht gut bestanden, beide nicht.“ Auf diesen Gedanken Frischs bezieht sich auch der Titel des Korrespondenzbandes. In ihrem Gedicht „Böhmen liegt am Meer“ aber hatte Bachmann für sich zu einer alles andere als oberlehrerhaften Beurteilung gefunden Sie maßte sich – im  Gegensatz zu Frisch – nicht an, für den anderen zu sprechen. Oder, wie sie 1964 in ihrem Gedicht „Böhmen liegt am Meer“ schreibt: „Ich will nichts mehr für mich. Ich will zugrunde gehen.. / … Und ihr irrt euch hundertmal, / wie ich mich irrte und Proben nie bestand, / doch ich hab sie bestanden, ein um das andre Mal.“

Das Drama dieser Beziehung gilt indes für beide Beteiligten.

 

Hans Höller/Renate Langer/Thomas Strässle/Barbara Wiedemann (Hgg.), Ingeborg Bachmann   Max Frisch, „Wir haben es nicht gut gemacht.“ Der Briefwechsel.
Verlage: Piper/Suhrkamp.
Erscheinungsort: Berlin/Zürich 2022.
1039 Seiten.
ISBN: 978-3-518-43069-9.
Preis: 40 Euro.

 

Michael Hansel/Kerstin Putz (Hg.), Ingeborg Bachmann. Eine Hommage.
Verlag: Paul  Zsolnay Verlag (Buchreihe des Literaturarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek).
Erscheinungsort: Wien 2022.
299 Seiten.
ISBN: 978-3-552-07291-6.
Preis: 27 Euro.

 

Bertrand Badiou/Hans Höller/Andrea Stoll/Barbara Wiedemann (Hgg.), Herzzeit. Ingeborg Bachmann   Paul Celan Der Briefwechsel.
Verlag: Suhrkamp.
Erscheinungsort: Frankfurt a. M. 2008. (2. A. 2009).
399 Seiten.
ISBN: 978-3-518-46115-0.
Preis: 9,90 Euro.