11. September
Geschichte eines Terrorangriffs

Das Buch dokumentiert die Historie des bisher größten Angriffs auf die Rationalität der westlichen Welt. Dabei zeichnet es minutiös die schrecklichen Ereignisse von New York, Pennsylvania und Washington sowie deren Vorbereitung nach, um anschließend die Täter und ihre Hintermänner gar selbst im Einzelportrait vorzustellen. Hierzu haben die Autoren sowohl Angehörige als auch Bekannte der Täter befragt.

Deutlich wird dabei, daß 15 Monate lang islamische Terroristen den bisher größten Anschlag auf die USA planen, und keiner etwas davon merkt. Zudem lernen die Terroristen alles, was sie für den Anschlag benötigen in dem Land, dem der Anschlag gilt. Alles was sie dazu brauchen, kaufen sie auch dort ein, und zuletzt benutzen sie sogar amerikanische Flugzeuge, um ihre Tat zu vollenden. Wir können uns diese Ungeheuerlichkeit zunächst nur vergegenwärtigen, indem wir Daten und Ereignisse sammeln und uns diese immer wieder genau vor Augen führen. Genau diese Arbeit leisten die Verfasser des vorliegenden Berichts im ersten Teil ihres Buches.

Insgesamt 17 Autoren tragen zusammen, was sie bei gründlicher Recherche herausgefunden haben über die Art und Weise der Konspiration, die einzelnen Aktionen der Terroristen, die Ahnungslosigkeit von Eltern, Freunden, Lehrern und Kollegen, aber auch Auffallendes, das erstaunlicher Weise niemandem auffiel. Details tragen zum Bild des Ganzen bei: die Logistik der Umzüge, der Einreise nach USA, die Flugstunden in Florida, das ach so normale Leben, das eigentlich gar nicht normal war. Entscheidend war wohl, daß die 19 Killer bestens angepaßt waren an ihre Umwelt. Vor allem die beiden Todespiloten aus Deutschland – einer von ihnen, Mohammed Atta, studierte in Hamburg Stadtplanung – verstanden es, sich so zu geben, wie die Deutschen es an Ausländern lieben. Und Atta begeisterte nicht zuletzt auch seine Professoren.

Die Autoren vermeiden den militärischen wie auch den advokatischen Stil, indem sie weder anklagen noch mit Urteilen vernichten wollen. Das Buch will verstehen, was passiert ist. Unverständlich allerdings ist den Autoren „die Ahnungslosigkeit der US-Behörden“, die Kenntnis hatten von zahlreichen mehr oder weniger mißlungenen Anschlägen mit dem einzigen Ziel: Massenmord an Amerikanern. Zu ihnen gehörte nicht zuletzt auch der Anschlag auf das World Trade Centre von 1993.

Ahnungslos waren ebenso die Angehörigen der Konspirateure: Mohammed Attas Vater glaubt auch an eine Verschwörung, aber eine der anderen Seite. Das Bild seines Sohnes, das seit dem 11. September millionenfach gedruckt wurde, hält er für manipuliert, mit einem ins Diabolische verzerrten Kopf auf einem fremden Hals, „damit mein lieber Sohn wie ein Terrorist aussieht“. (S. 170) Auch hier hat das Attentat Denkgewohnheiten zerstört, und auch hier stoßen wir auf den natürlichen Mechanismus des menschlichen Gehirns, sich das gewohnte Bild von der Wahrheit nicht rauben zu lassen.

Die Autoren haben die Persönlichkeitsgutachten Attas ebenso befragt wie seinen Vater. Die Gutachter des Massenmörders bescheinigen ihm genau diejenigen Charakterstärken, die in der Welt des Kapitalismus, die er natürlich abgrundtief haßte, besonders gefragt sind: „rational, sprachbegabt, perfektionistisch und hochintelligent, [...] selbstbewußt und organisatorisch geschickt, [...] im höchsten Maße belastbar, körperlich wie geistig.“ (S. 170) Einer der vier Köpfe des Unternehmens, der Mann, der die westliche Rationalität so sehr haßte, daß er maßgeblich dazu beitrug, ihr die größte Verletzung beizufügen, die sie in den vergangenen 55 Jahren erlitten hatte, mußte sich dieser Rationalität bis fast zur Ununterscheidbarkeit angleichen. So hält auch der Vater in Kairo seinen Sohn nicht für „extrem, schließlich habe ich ihn ja moderat erzogen“, glaubt er. „Wenn jeder auf der Welt ein Huhn schlachten müßte, wäre er dazu nicht in der Lage.“ (S. 171)

Ist da wirklich nichts, was hinweist auf das Abweichen von der Umwelt? Etwas, das uns das Gefühl bestätigt, daß wir es bei den Massenmördern doch nicht mit normalen Menschen zu tun haben? Wie sehr wünschen wir schließlich, daß diese Kerle im wesentlichen Verwirrte gewesen sind, hoffentlich sogar Psychopaten. Aber wieder sind es die Gutachten die uns enttäuschen, Psychopaten würden beim Angriff auf die restliche Welt nicht auch sich selbst quälen wollen. (vgl. S. 177) Genau das nun kann man nicht behaupten von einem rational planenden Selbstmörder. Und doch ist zumindest eines auffällig am Kopf der Mordmaschine, an Mohammed Atta, diesem durch und durch Unverdächtigen Studenten: sein Verhältnis zu Frauen. Atta führte ein völlig a-sexuelles Leben. Die Frauen, denen er begegnete, entsprachen offenbar niemals seinen Vorstellungen. Daher gelangen die Gutachter zu dem Urteil, daß der „intelligenteste, motivierteste und gefährlichste“ aller Attentäter, im wesentlichen ein verklemmter Streber war. Vielleicht ist dies ein Hinweis darauf, daß wir alle dem Haushalt der Emotionen bei uns und anderen größere Aufmerksamkeit schenken sollten.