Endlich ist er da, der Band des Historischen Wörterbuchs der Philosophie, der zwischen 'Übel' und 'Vulkanismus' das Wichtigste und Wissenschaftlichste zwischen Himmel und Erde dokumentiert. Für die deutsche Sprache fällt auch die 'Unbegreiflichkeit' in diesen Zwischenraum, die als eine Chiffre für Gott angesehen werden kann. Interessanterweise kommen in dem knappen Artikel über 'Universitätsphilosophie' hauptsächlich deren Gegner zur Sprache, namentlich Schopenhauer und Nietzsche. Ersterer hat ihr das Prädikat 'Spaaßphilosophie' verliehen, und letzterer leugnet ihre Möglichkeit grundsätzlich. Sie stehe im Dienst der 'Theologie' und 'Historie'. Dem entspricht die Kennzeichnung der Philosophie als 'Unzeitgemäß'. 'Für M. Heidegger ist die Philosophie aus doppeltem Grund ‚notwendig unzeitgemäß‘' lautet es in dem Artikel von H. Schalk. 'Einerseits sei sie ‚ihrem jeweiligen Heute weit vorausgeworfen‘, andererseits binde sie ‚das Heute an sein früher und anfänglich Gewesenes‘ zurück.' (Sp. 348)
Aber auch dem Hypermodernismus der zeitgemäßen Philosophie werden die neuen Buchstaben des Historischen Wörterbuchs gerecht. So haben die kausalitätstheoretischen Grundbegriffe 'Ursache/Wirkung' die 'Philosophie und Wissenschaftstheorie auch im 20. Jahrhundert nicht losgelassen', wie H. Tetens in seinem Kapitel zum entsprechenden Begriffspaar schreibt. Die zeitgemäße Behandlung des Problems finde in der Philosophie des Geistes statt, nämlich als das Verhältnis von Leib und Seele. Dieses läßt sich 'selber als ein kausaltheoretisches Rätsel aufziehen. Wir halten nämlich die folgenden drei Thesen prima facie für plausibel: 1) Mentale Zustände und physische Zustände sind grundsätzlich verschieden. 2) Mentale und physische Zustände stehen in kausaler Wechselwirkung miteinander. 3) Die physische Welt ist kausal abgeschlossen, Physisches verursacht nur Physisches und wird auch nur von Physischem verursacht. Die drei Thesen können aber eigentlich nicht miteinander vereinbar sein, je zwei der drei Thesen implizieren die Negation der jeweils dritten.' (Sp. 408) Hoffentlich ist noch immer auf die Erkenntnis Verlaß, daß sich der Intellekt nur Probleme schafft, die er auch selber lösen kann. Der Buchstab 'U' endet mit der 'Utopie', und hier ist seit Adorno nichts Neues mehr zu berichten, wie es scheint. 'Die gegenwärtige Diskussion', so das Fazit von U. Dierse, 'bewegt sich hauptsächlich um das ‚Ende der U.‘; das man konstatiert, begrüßt oder bedauert, z. T. auch schon wieder bezweifelt.' (Sp. 522) Daß der Buchstabe 'V' mit 'Vacuum' beginnt, suggeriert vor diesem Hintergrund sogar einen Sinn.
Einer der wichtigsten Begriffe kritischen Denkens ist die 'Verdinglichung', die hier mit 'Vergegenständlichung' zusammengefaßt wurde. Er entlarvt die Neigung des menschlichen Denkens, 'etwas Begriffliches, Abstraktes, bloß als Eigenschaft oder Beziehung Gegebenes zur selbständigen Entität' (Sp. 608) zu erheben, wie es in dem Beitrag von Alfred Schmidt lautet. Zwar entfaltet der Terminus seine Bedeutung im längst antiquiert klingenden Hegel-Marxismus, aber er hat mit dessen Modernität seine eigene Erklärungskraft nicht verloren. Marxens Einsicht, daß dem Menschen im Kapitalismus das Machwerk seiner eigenen Hände als fremdes, bedrohliches Ding entgegentritt, ist heute nicht weniger gültig als im vorigen Jahrhundert. Aber viele Philosophen sind bis heute nicht zur Einsicht vorgedrungen, daß sie es in ihren Produkten mit dem Machwerk ihres eigenen Kopfes zu tun haben, dem sie sich wie einer fremden Macht unterwerfen und von dem sie ihr Handeln bestimmen lassen. Daher ist es verständlich, wie die Entfaltung des vorletzten Begriffs - 'Vorwissenschaftlich' - in diesem Band nahe legt, daß die frühe sprachanalytische Philosophie Alltagssprache als 'Basis [...] für die ‚Therapie‘ philosophischer Probleme' herangezogen. Wir können also gespannt sein, wie die Behandlung des Begriffs 'Wissenschaftlich' im nächsten Band des Historischen Wörterbuchs der Philosophie ausfällt.