Historisches Wörterbuch der Philosophie
Band 12: W-Z

Eine Generation von Philosophiestudenten, -studentinnen und -lehrern hat das Werden des Historischen Wörterbuchs der Philosophie begleitet. Nun stehen mit Band 12 die Buchstaben W-Z auch im Regal. Es folgt in rund zwei Jahren noch der Registerband. Der vorliegende Band 12 enthält die Artikel von 'Wachen' bis 'Zynismus'. Zwischen diesen harmlosen Wörtern stehen allerdings auch solche wie der 'Wille zur Macht'. Hier verfolgt C. Althaus die Herkunft des Begriffs von Spinoza über Schopenhauer zu Nietzsche und wie dieser ihn abgrenzt von der Bedeutung, die Vulgärmaterialisten seiner Zeit ihm beigemessen haben. Es ist nötig zu erklären, daß es der übereifrigen Nietzsche-Schwester und Hitler-Freundin Elisabeth Förster vorzuwerfen ist, daß sie unter dem gleichnamigen Titel ein vermeintliches Hauptwerk Nietzsches angepriesen hat.
Daß vor dem darauf folgenden Wort 'Willensschwäche' der Begriff 'Willensfreiheit' fehlt, möchte wohl ein frühzeitiges Zugeständnis an die wegweisenden Forschungsergebnisse der neuesten Hirnforschung sein. Vielleicht wird in 10 Jahren tatsächlich kein Mensch mehr nach dem Wort 'Willensfreiheit' fahnden ' oder doch? Gleichwohl hat die 'Willensschwäche' die Willensfreiheit in sich aufgehoben. Wie A. Hügli erklärt, ist 'Willensschwäche' in der Neuzeit allein in der Analytischen Philosophie diskutiert worden. So sprach Hare von einer 'moral weakness', um das Problem zu umschreiben, das die Analytische Philosophie offenbar mit jeder strengen Form idealistischer Ethiken teilt: jeder, der einem moralischen Werturteil zustimmt, müßte diesem Urteil gemäß handeln, wenn es die Situation erfordert. Aus Erfahrung wissen alle Menschen, daß dies jedoch nicht zutrifft. Daß wir in Zukunft vermehrt von 'Willensschwäche' statt von Willensfreiheit sprechen werden, legt auch die Position Searles nahe: 'Weil Handlungsgründe,' referiert Hügli, 'keine hinreichenden Ursachen für Handlungen seien, bestehe zwischen praktischer Überlegung und Entschluß, zwischen Entschluß und nachfolgender Handlung, zwischen Handlungsbeginn und Vollendung der Handlung immer eine Kluft.'
Weiterhin bezeichnet auch das Wort 'Wirklichkeit' keine harmlose Sache. Es meint 'wirklich' 'umgangssprachlich vor allem 'tatsächlich bestehend', und zwar regelmäßig im engeren Sinne handgreiflicher (körperlicher) Vorhandenheit'. Philosophisch wird der Begriff spätestens mit Schopenhauers Willensmetaphysik 'problematisch'. Für ihn ist es sinnlos, nach jener Wirklichkeit außerhalb der Welt als Vorstellung zu suchen, die für den Alltagsverstand das einzig Wirkliche sein soll. Der Artikel von Trappe versäumt es nicht die neue Dimension dieser Problematik hervorzuheben: Mit dem 'radikalen Konstruktivismus' der Neurobiologie ' namentlich Gerhard Roths These vom 'Gehirn und seiner Wirklichkeit' ' ist Wirklichkeit 'klärungsbedürftig geworden'. Ein möglicher Ort der Wirklichkeit sei 'die Kunst, die gerade nicht mehr durch Fiktion, sondern 'Artifikation' bestimmt ist.'
Obgleich auch der 'Zeitgeist' im neuen Band des HWP nicht zu kurz gekommen ist, überragt doch eine andere Dimension viele weitere Artikel: Die 'Zeit'. Gleich zwölf Autoren teilen sich die 'Zeit' untereinander auf. Historisch nach Antike, Mittelalter, Jahrhunderte der Aufklärung und Neuzeit voneinander getrennt, weiterhin physikalisch, gesellschaftlich und kulturell betrachtet; schließlich in Bezug gebracht zu Zeitbegriffen außereuropäischer Kulturen. Und doch bleibt die 'Zeit' quantitativ gesehen weit hinter dem eigentlich philosophischen Wort zurück: Dem Begriff der 'Wahrheit'. Es dürfte von nun an keine Studierenden der Philosophie mehr geben, die sich nicht wenigstens einmal gründlich durch diesen Artikel gefressen haben. Viele Unklarheiten in der Verwendung des Begriffs der 'objektiven Wahrheit' ließen sich mit einem Satz klären. 'Aus der Anerkennung der o.W. folgt nicht, daß wir sie auch besitzen.' Und so bleiben uns die meisten Vertreter dieses starken Wahrheitsbegriffs eine Antwort auf die Frage schuldig, woher sie ein Wissen beziehen, das sie gar nicht besitzen. Da sind fromme Menschen sicherlich die aufrichtigsten, denn sie berufen sich ehrlich auf den Glauben.