Kunstkommunikation: "Wie ist Kunst möglich?"
Beiträge zu einer systemischen Medien- und Kunstwissenschaft

Im Kulturverlag Kadmos ist ein Sammelband erschienen, der die Ergebnisse der interdisziplinär ausgerichteten Tagung 'Aisthesis und Medium: (In-)Differenzen der Beobachtung von Kunstkommunikation' dokumentiert, die Ende 2007 im Kölner Museum für Angewandte Kunst stattgefunden hat. Die Herausgeber setzen sich zum Ziel, das 'Für und Wider eines dezidiert beobachterabhängigen Standpunkts in Theorie und Praxis von Kunst' (S. 9) zu diskutieren. Maßgebliche Referenz der Artikel ist die soziologische Systemtheorie im Anschluss an die Arbeiten des Bielefelder Soziologen Niklas Luhmann. Auf dieser Grundlage gehen nicht alle, aber doch die Mehrzahl der Beiträge der Frage nach, was die Bedingungen der Möglichkeit von Kunst sind. Antworten auf diese Leitfrage finden sie im systemtheoretischen Kommunikationsbegriff: Kunst ist demnach nicht nur, aber vor allem Kunstkommunikation, wird also durch kommunikative Prozesse ' ,Beobachtungen' ' immer erst konstruiert.
Eine dezidiert 'beobachterdependente[ ] Perspektivierung' (S. 9) des Phänomens Kunst ist freilich so neu nicht. Allerdings scheint die Kunstwissenschaft ' wie etwa Sabine Kampmann bereits 2006 in ihrer Studie zur Autorschaft von Künstlern angemerkt hat ' genau damit noch immer ein Problem zu haben. Aus literatur- und kunstsoziologischer Sicht hingegen ist die Erkenntnis, dass Kunstwerke oder als ,literarisch' nobilitierte Texte beobachterabhängige Konstrukte sind, schon lange mehr oder weniger Mainstream. Die Stärken des Bandes liegen denn auch vor allem in der Erörterung von Fragen des Zusammenhangs von Kunst und Wahrnehmung/Bewusstsein sowie (Kunst-)Kommunikation und Medium. Es geht um Unterscheidungen (in) der Kunst. Der systemtheoretische Begriffsapparat wird dabei nicht nur mit je unterschiedlichem theoretischem Design konfrontiert, sondern an einer Reihe von Anwendungsfeldern auch partiell konkretisiert. Die Beispielliste reicht von so unterschiedlichen Phänomenen wie Smalltalk über Tanz bis zu Baukunst und Populärkultur.
Der Sammelband umfasst Aufsätze zu drei Sektionen, die durch zwei künstlerische ,Intermezzi' unterbrochen werden. Sektion I befasst sich mit Epistemologie und Ästhetik systemischer Kunsttheorien, arbeitet also am ganz Grundsätzlichen der Kunst. So stellt etwa Harry Lehmann fest, dass 'avancierte Kunst geräuschvolle Kopplungen von Bewusstsein und Kommunikation initiiert' (51). Oliver Baron erörtert demgegenüber ' ausgehend von Kant und schließlich Adorno und Luhmann vergleichend ' die ,Paradoxie der Kunstregel', die er in der Formel von der Selbstprogrammierung des Kunstwerks (Luhmann) realisiert sieht. Die zweite Sektion beschäftigt sich mit Beschreibungsdirektiven und Wahrnehmungskonfigurationen von Kunstkommunikation. Den weitaus elaboriertesten Aufsatz liefert hier Carsten Zorn. Unter dem Titel 'Kontaktaufnahmen zum Sinnlichen' setzt er sich mit der Frage auseinander, wie eine Medienkulturgeschichte auf der Grundlage des Beziehungszusammenhangs von Kommunikation und Wahrnehmung aussehen könnte. Ausgangspunkt ist bei ihm die Annahme, dass 'es im Verhältnis zwischen Wahrnehmung und Kommunikation nicht nur historisch [...] zu erheblichen Diskontinuitäten, sondern stets auch synchron zu deutlich inkongruenten ,Weltperspektivierungen' kommen kann' (114). An der systemtheoretischen Unterscheidung von ,struktureller Kopplung' und ,Interpenetration' ansetzend stellt er die These auf, dass die wesentlich neue medientheoretische Problemstellung der Systemtheorie in der Frage liegt, 'durch welche (verschiedenen) Wahrnehmungsleistungen die Kommunikation im Laufe der Mediengeschichte auf welche Weise ,gestört' (irritiert) und ,durchdrungen' wurde und wird' (115). Die dritte und abschließende Sektion stellt Dispositive medialer Performanz und architektonischer Struktur ins Zentrum. Diese Sektion und den Band beschließt Remigius Bunias anregender Aufsatz zu 'Populärkultur als Medium der Kunst', der noch einmal die gesellschaftliche Funktion nicht nur von Kunst, sondern auch von populärer Kultur in den Blick nimmt. Unter Rückgriff vor allem auf Luhmanns Kunst- und Dirk Baeckers Kulturbegriff stellt Bunia fest, dass das Verhältnis von Kunst (als Funktionssystem), Kultur (als Semantik und Medium) und der 'rätselhaft[en]' (323) Unterhaltung schwer zu bestimmen sei. Aber, und das ist das einleuchtende Ergebnis seiner Überlegungen, '[e]s zeichnet sich immerhin ab, dass die Populärkultur eine Schaltstelle zwischen diesen drei sozialen Phänomenen bildet' (323). Diese Einsicht ist durchaus anschlussfähig zu bereits vorliegenden systemtheoretischen Konzeptionalisierungen der gesellschaftlichen Bedeutung populärer Kultur, wie sie jüngst ein Sammelband von Christian Huck und Carsten Zorn materialreich dargelegt hat.
Der Kadmos-Verlag hat sich in den letzten Jahren unter anderem als Publikationsort für solche Studien ausgezeichnet, die sich im Umkreis systemtheoretischen Denkens bewegen. Mit der Aufnahme der Tagungsergebnisse zur Kunstkommunikation ist zu diesem Angebot ein weiterer interessanter und zu durchaus heterogenen Anschlussüberlegungen einladender Band hinzu gekommen. Der von Christian Filk und Holger Simon betreute Sammelband bietet sowohl Kunstwissenschaftlern als auch Kultur-, Medien- und Literaturwissenschaftlern Anregungen für die Erforschung des Verhältnisses von Kunst, Medien und Bewusstsein auf fortgeschrittenem Theoriestand.