Handbuch des Antisemitismus
Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Band 2: Personen

In einem groß angelegten Projekt will das Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung das Wissen über den Antisemitismus in einem großen Handbuch, herausgegeben von Wolfgang Benz, zusammenführen. Nun liegen der zweite Band über 'Personen' und der dritte Band über 'Begriffe, Theorien, Ideologien' vor. Band 1 ('Länder und Regionen') war bereits 2008 erschienen. Es folgen noch die Bände 'Ereignisse, Dekrete, Kontroversen', 'Organisationen, Institutionen, Bewegungen', 'Publikationen' und 'Film, Theater, Literatur und Kunst'.
Fachleute aus verschiedensten Ländern und mit ihnen umfassende Forschungsleistungen sind hier versammelt. Das Personen-Handbuch enthält rund 700 Biografien und zwar keineswegs nur solche von bekannten Antisemiten, sondern auch etwa bekannte Schriftsteller, deren Äußerungen zu Juden zusammengetragen werden (ihr 'Verhältnis ' zu Judentum und der Judenfeindschaft' soll gezeigt werden), aber auch, so Wolfgang Benz im Vorwort, 'prominente Opfer des Judenhasses' (S. vi). Diese sehr breite Auswahl wirkt einerseits mitunter etwas beliebig, andererseits macht sie das Handbuch auch zu einem spannenden Lesebuch, in dem der Leser allerhand entdecken kann. Das Spektrum reicht von Kaiser Iustinian (481/82-565) über Napoleon und Goethe, den argentinischen Jesuitenpater und Schriftsteller Leonardo Castellani (1899-1981, Pseudonym: Jeronimo del Rey), diverse Nazi-Größen bis hin zu dem bekannten Holocaustleugner Ernst Zündel. Es ist wahrscheinlich müßig, die Auswahl bei einem solchen Handbuch zu kritisieren, denn natürlich wird jedem Leser der Eine oder die Andere fehlen, da ein solcher Band trotz beeindruckender Vielfalt nicht allumfassend sein. Und so vermisst die Rezensentin etwa Einträge von einigen wichtigen Protagonisten der nationalsozialistischen Judenverfolgung und -mordes wie Hans Frank oder Artur Greiser.
Gerade in diesem Themenfeld finden sich im dritten Band ' neben spannenden und informativen Einträgen ' einige Unsicherheiten, die gerade in einem Handbuch bedauerlich sind. Einige Beispiele mögen dies zeigen. So beginnt der Artikel über die 'Endlösung' mit dem keinerlei Diskussionen zulassenden Satz: 'Mit der Metapher 'Endlösung' meinten spätestens ab Frühsommer 1941 die Offiziellen des Dritten Reichs die physische Vernichtung der Juden.' (S. 67) Das ist allerdings in der neueren Forschung zum Thema mehr als umstritten und zumindest darauf sollte doch wohl hingewiesen werden. Im Eintrag über die 'Euthanasie' heißt es, die 'Aktion 14f13' habe nach dem offiziellen 'Euthanasie'-Stopp im Sommer 1941 begonnen (S. 80) Tatsächlich fing die unter diesem Namen durchgeführte massenhafte Ermordung von KZ-Insassen in den Tötungsanstalten der 'Euthanasie' jedoch bereits im Frühjahr 1941 an und ging im Spätsommer 1941 in ihre zweite Phase. Keineswegs waren außerdem alle polnischen Juden mit einem 'Judenstern' gekennzeichnet (S. 120), sondern sie mussten im Generalgouvernement eine Armbinde tragen, wie es an anderer Stelle im Band auch richtig gesagt wird (S. 175).
Solche Ungenauigkeiten sind gerade in einem Handbuch, zu dem doch jeder greifen soll, der sich ohne großen Aufwand zuverlässig informieren will, bedauerlich. Dies umso mehr, als dieses ehrgeizige Projekt eines Handbuchs des Antisemitismus ein großes und wichtiges ist, und die bisherigen drei Bände in der überwiegenden Zahl der Beiträge auch überzeugen. Da das Handbuch keinerlei zeitliche und räumliche (wenn der Schwerpunkt auch dezidiert auf Europa liegt) Begrenzung hat, findet auch ein Leser, der sich mit der Entwicklung des Antisemitismus gut auskennt, in dem Handbuch viel Neues und auch Überraschendes. Insofern darf man trotz der angedeuteten Mängel auf die weiteren Bände gespannt sein.