Therese Lindenberg hat nahezu ihr ganzes Leben lang Tagebuch geschrieben, sie begann damit als knapp Achtzehnjährige im Oktober 1910, den letzte Eintrag verfasste sie wenige Tage vor ihrem Tod am 21. April 1980. Ihr Mann war Jude, und über die zunehmende Ausgrenzung und den immer weiter fortschreitenden Verlust an Selbstbestimmung im Wien der Nationalsozialisten hat sie in ihrem Tagebuch auch geschrieben. Überzeugt davon, dass dieses ein wichtiges Dokument für die Nachwelt sei, hat sie 1975 einen ebenfalls in Tagebuchform verfassten Text mit dem Titel 'Die apokalyptischen Jahre. 1938-1946' daraus gestaltet. Das Originaltagebuch dieser Jahre und die Kompilation liegen nun in einer sorgfältigen Edition herausgegeben von Christa Hämmerle und Li Gerhalter gemeinsam vor.
Therese Lindenbergs Ehe mit dem 17 Jahre älteren Ignaz Lindenberg galt als 'nicht privilegiert' , mehrfach wurde versucht, sie zur Scheidung zu bewegen. Sie blieb jedoch und musste so mit ihrem Mann nach der Kündigung ihrer Wohnung in ein 'Judenhaus' umziehen ' Therese Lindenberg nennt es 'Mischehenghetto' . Die Verfolgungsmaßnahmen der Nationalsozialisten beschreibt Therese Lindenberg detaillierter in den 'Apokalyptischen Jahren' . In den Original-Tagebüchern verdichtet sie die Informationen, nimmt als Schutzstrategie nur knapp auf die Ausgrenzung Bezug. Die Spezifika der beiden so ähnlichen ' manchmal übernimmt sie ganze Tagebucheinträge ' und doch auch so unterschiedlichen Texte stellt Christa Hämmerle in ihrer Einleitung überzeugend dar.
Der Vergleich beider Texte bringt nicht nur spannende Einblicke in das Leben einer Frau, die mit einem Juden verheiratet war und die Verfolgung der Nationalsozialisten gemeinsam mit ihm durchstand, sondern zeigt auch, welch großen Einfluss die jeweilige Schreibsituation auf die Tagebücher und das nachträglich verfasste Manuskript hatte. Die 'Apokalyptischen Jahre' stehen in der Edition den Original-Tagebücher voran, gleichsam als Vermächtnis der Autorin und weil sie zugleich vieles von dem, was in der zeitgenössischen Quelle verschwiegen werden musste oder nur angedeutet werden konnte, entschlüsseln. Die Kommentierung der Tagebücher fällt knapp aus, die Texte selbst sollen im Vordergrund stehen. Die Anmerkungen beziehen sich in der Hauptsache auf die äußere Form der Tagebücher, sorgfältig wird hier das Dokument beschrieben, nur selten sind weiterführende historische Informationen zu finden. Insofern war es die richtige Entscheidung, den späteren Text zuerst zu drucken, er erleichtert das Verständnis der Tagebücher und hilft dem Leser, die Lücken mit Inhalt zu füllen: Dank der glänzenden Einführung und der vorangestellten 'Apokalyptischen Jahre' erschließt sich die ungeheure Dramatik der Geschichte, die Therese Lindenberg in ihren Tagebüchern notiert hat.