Wie Kinder Sprachen lernen
Und wie wir sie dabei unterstützen können

'Systematisch, treffsicher und beharrlich ' wenn man sie denn lässt'. So beantwortet Rosemarie Tracy die im Titel ihrer Studie aufgeworfene Frage und unterstreicht damit die Bedeutung, welche den Rahmenbedingungen kindlichen Spracherwerbs in seinen verschiedenen Ausformungen zufällt. Wie ernst es der Autorin mit ihrem Anliegen ist, grundlegende Kenntnisse über den Erwerb von Mutter- und Fremdsprache zu vermitteln, macht sie von Beginn an in Form zahlreicher Veranschaulichungen und durch dialogisch gestaltete Passagen deutlich, in denen sie sich unmittelbar an ihre Adressaten wendet: in erster Linie an Lehrende, Erzieherinnen und Erzieher u.a., die in der täglichen Praxis mit (früh-)kindlicher Aneignung und Ausprägung von Sprache zu tun haben, ferner an Eltern sowie thematisch Interessierte.
Entsprechend nachvollziehbar ist die Darstellung formuliert und strukturiert. Statt sich in ausschweifenden fachsprachlichen Reflexionen zu verlieren, nimmt Tracy ihre Leserinnen und Leser an die Hand und führt sie von den linguistischen Grundlagen des Spracherwerbs über dessen Verlaufsmodelle (Deutsch als Erstsprache, Deutsch als Zweitsprache, zeitgleicher Erwerb zweier Erstsprachen) hin zu Konzepten sprachlicher Förderung. Ihr Vorgehen führt jedoch nicht dazu, auf komplexe Inhalte etwa der Psycholinguistik oder der Syntax zu verzichten oder diese zu verkürzen. Sie portioniert die gelieferten Fakten lediglich in überschaubare Abschnitte, hält inne, ergänzt eine einprägsame Anekdote aus der Praxis oder lädt zu so genannten Gedankenexperimenten ein, vertieft dann ihre Ausführungen und bilanziert schließlich das Wesentliche. Ein solch unkonventioneller Stil muss ungeachtet seiner Lebendigkeit nicht allen gefallen. Manche mögen sich im Lesefluss durch die regelmäßigen Einschübe gebremst sehen, andere könnte der betont muntere Umgangston anstrengen, wenn z. B. bei den Kapitelüberschriften auf 'eine kleine Zeitreise' ein 'großer Trost' (S. 169/175) folgt oder wiederholt auf Metaphorik aus dem Bäckereigewerbe gesetzt wird.    
Die Mannheimer Anglistin legt Wert auf eine andere Gewichtung im Umgang mit Mehrsprachigkeit, ihr Text ist ein Plädoyer nicht nur für eine höhere Akzeptanz sondern für eine regelrechte Wertschätzung und aktive, bildungspolitisch verankerte Förderung derselben. Statt auf tradierten angeblichen Gefahren zu beharren und auf sprachliche Mängel zu verweisen (vgl. dazu den Begriff der Defizitorientierung, S. 5), zeigt sie die Chancen auf, die das frühe Erlernen einer zweiten, dritten Sprache mit sich bringt. Die jeweilige Erstsprache werde nicht beeinträchtigt, sondern die Komfortzone des Sprechers erweitert, ein Mehrwert entstehe (der ggf. ökonomisch nutzbar sei). Dies erläutert sie am Beispiel des Mixing, also des
rasant schnellen Wechsels zwischen zwei Sprachen (einschließlich ihrer diversen Varietäten/Codes). So 'virtuos' (S. 54) diese Fähigkeit auch sein mag und die Verfasserin in ihrem Ansatz einer Kompetenzorientierung bestätigt, so entscheidend bleibt doch, dass vielen dieser Sprecher trotz ihrer Begabung der Erfolg im deutschen Bildungssystem versagt bleibt. Tracy weiß darum, wie wichtig es aus gesellschaftlichen wie finanziellen Gründen ist, die politisch Verantwortlichen von früh greifenden und in der Breite wirksamen Förderkonzepten zu überzeugen ' eine Liste zehn wichtiger Begründungen (S. 160ff.) und die Mahnung 'Sprachförderung als Herausforderung für alle' (S. 190) dokumentieren das nachdrücklich. Im Schlussteil wird der ohnehin beträchtliche Gebrauchswert des Buches weiter erhöht, indem die Autorin einen Leitfaden zur sprachlichen Leistungsdiagnose einschließlich Förderempfehlungen sowie ein umfassendes Glossar vorlegt.