Holocaust-Rezeption und Geschichtskultur
Zentrale Holocaust-Denkmäler in der Kontroverse. Ein deutsch-österreichischer Vergleich

An Studien zum Berliner Holocaust-Denkmal mangelt es nicht. Der interessierte Leser kann auf vergleichsweise schmale Veröffentlichungen ebenso zurückgreifen wie auf opulente Sammelbände und er kann wählen zwischen journalistischer (Jeismann), politikwissenschaftlicher (Leggewie/Meyer) oder kunsthistorischer (Mittig) Perspektive. Mit der an seine 2003 publizierte Magisterarbeit anknüpfenden Dissertation zeigt Holger Thünemann eine weitere Untersuchungsmethode auf: den transnationalen Vergleich.
Die gemeinsame NS-Vergangenheit sowie Parallelen in der Genese der Holocaust-Denkmäler in den beiden Hauptstädten nimmt der Münsteraner Historiker zum Anlaß seiner deutsch-österreichischen Studie, in der er von einer (eher negativen) Vorbildfunktion des Berliner Denkmals für das in Wien ausgeht (vgl. S. 35). Im Mittelpunkt der 363 Seiten umfassenden Darstellung steht die Dechiffrierung und kontrastive Analyse der jeweiligen Entstehungsprozesse von der Ausschreibung bis zur Einweihung des Denkmals und vor allem der damit einhergehenden Diskurse zu Standort, Form, Widmung und Zweck. Thünemann möchte dazu beitragen, das aufklärerische Moment der Denkmäler hervorzuheben und zu fördern; ihm liegt an ihrer Rekontextualisierung, um den kognitiven Zugang zum Holocaust gegenüber Tendenzen einer Homogenisierung und Sakralisierung des Gedenkens zu stärken (vgl. S. 288ff.).
Beginnend mit dem Berliner Denkmal, arbeitet Thünemann zunächst das in der Ära Kohl vorherrschende Bemühen heraus, jede selbstkritische Aufarbeitung des Dritten Reiches zu umgehen. Sowohl an des Kanzlers Taktieren in der Mahnmal-Frage als auch an der geteilten Haltung der Bevölkerung verdeutlicht er, in welcher Weise sich die konstituierte Geschichtskultur vom realen Geschichtsbewußtsein einzelner bzw. der Gesellschaft unterscheiden kann. Kritisch wird im folgenden neben dem Altkanzler sowie Lea Rosh und Eberhard Jäckel als Hauptverantwortlichen für Initiative und Durchführung des Projekts (die Mitsprachemöglichkeiten von jüdischer Seite schätzt Thünemann begründet als gering ein) auch der Entwurf Peter Eisenmans betrachtet. Dieser fungiere als Erlösungssymbol und bringe eine 'entkonkretisierende, pseudoreligiöse und kathartische Dimension von Geschichtskultur' (S. 153) zum Ausdruck.
Solchen Mißbrauch des Gedenkens konstatiert der Autor im zweiten Hauptteil seiner Dissertation ebenso für Österreich. Thünemann vermutet hinter dem mit der Denkmalerrichtung dokumentierten Eingeständnis von Schuld eine gleichzeitig greifende Strategie der Selbstentlastung (die der Schriftsteller Josef Haslinger bereits 1987 problematisierte, als er jedes zur Schau gestellte Erinnern seiner Landsleute spöttisch in eine 'Inszenierung des Vergessens' umdeutete). Hingegen schätzt er den Judenplatz als Ort und Rachel Whitereads künstlerische Gestaltung des 1994 von Simon Wiesenthal angeregten Denkmals, das den ermordeten österreichischen Juden keine bloße Opferrolle zuweise (vgl. S. 249, 289).
Im knapp gehaltenen Schlußkapitel werden die Resultate des Ländervergleichs bilanziert und sieht Thünemann seinen Ansatz bestätigt, daß die Herausbildung von Geschichtskultur(en) nur vor dem Hintergrund 'internationaler Austauschvorgänge' (S. 282) verstehbar sei. Was bleibt, sind 19 Photographien der Denkmäler bzw. alternativer Entwürfe sowie ein umfangreiches Literaturverzeichnis (u.a. stützt er sich auf Leserbriefe, Einträge in Besucherbüchern und Zeitzeugeninterviews), das den von Thünemann betriebenen enormen Aufwand veranschaulicht. Scheint es auch schwierig, sich von der teils äußerst renommierten Konkurrenz zum Thema abzuheben, beeindrucken doch die Souveränität, mit der er die komplexe Entstehungsgeschichte der Denkmäler stets quellengestützt nachzeichnet, und die Bedachtheit seiner Urteile. Daß die begrifflichen Klärungen zu Beginn recht additiv anmuten, ist wohl dem (fraglos erfüllten) Anspruch geschuldet, die Theorien der Assmanns, Rüsens und Co. möglichst komprimiert zu referieren. Auch die vereinzelten Rechtschreibfehler ändern nichts daran, daß hier eine fundierte und erhellende Darstellung vorliegt, die breite Aufmerksamkeit verdient.