Die jüdische Gemeinde in Breslau war in der letzten Zeit gleich aus zwei Anlässen Thema in Rezensionen und Feuilletons: zunächst anlässlich der Publikation der Tagebücher von Willy Cohn, dann der Erinnerungen von Fritz Stern. Die nun erschienene Darstellung über Juden in Breslau unter deutscher Besatzung ist wiederum das Werk eines jüdischen Historikers aus Breslau und wieder handelt es sich um eine den Leser bereichernde Publikation.
Abraham Ascher berichtet über seine eigene Familiengeschichte und darüber, wie ihm und seinen Eltern die Emigration im Unterschied zu zahlreichen Verwandten geglückt ist. Vor allem aber erzählt der emeritierte Professor der City University of New York die Geschichten unzähliger anderer Breslauer Juden.
In einem ausführlichen Kapitel schildert Ascher zunächst die Geschichte von Juden in Breslau vor dem Machtantritt der Nationalsozialisten. Zahlreiche Intellektuelle und Kulturschaffende wirkten hier, die jüdische Minderheit war im Großen und Ganzen toleriert und akzeptiert, wenn sie auch durchaus als 'anders' wahrgenommen wurde. Die meisten Breslauer Juden sahen sich zuallererst als Deutsche. Umso stärker traf sie die Ausgrenzung nach 1933. Ascher diskutiert zentrale Fragen wie diejenige, warum nicht mehr Juden emigriert sind und was die Entscheidung, sein bisheriges Leben aufzugeben und in einem fremden Land einen Neustart zu wagen, bedeutete. Er selbst konnte noch 1939 auswandern und beschreibt seine Recherchen zu dem Amerikaner, der ihm seinerzeit das Visum ausgestellt hat. Ascher trennt sorgfältig die allgemeine, auf Literatur und Darstellung beruhende Schilderung von derjenigen seiner eigenen Erlebnisse. Letztere sind aber immer wieder Thema und diese zweigeteilte Darstellung, die zu einer verschmilzt, macht einen besonderen Reiz des Buches aus.
Ascher zeigt die verschiedensten Reaktionen Breslauer Juden auf. Vor allem aber zeigt er, wie sich die Gemeinde darum bemühte, ihren Stolz zu bewahren und nicht zu resignieren. 1935/36 wurde die Neue Synagoge renoviert und ein zweites Altenheim eröffnet. Zentrale Themen sind die Pogromnacht mit den darauffolgenden Verhaftungen und die immer weiter reichenden Einschränkungen nach Kriegsbeginn bis hin zur Ermordung des allergrößten Teils der Breslauer Juden. Gauleiter Hanke wollte seinen Gau so schnell wie möglich 'judenfrei' sehen und so wurde der Lebensraum auch der Breslauer Juden immer mehr beschränkt, im Jahr 1941 begannen dann zunächst die Ausweisungen Breslauer Juden in Lager in der Umgebung, im Herbst diesen Jahres folgte die erste Deportation 'in den Osten'.
Teilweise vermisst der Leser hier neuere allgemeine Literatur, aber der Anspruch des Buches ist es ja nicht, eines über antijüdische NS-Politik und deren Genese zu sein, sondern ein Buch über Breslauer Juden, ihr Leben, ihre Reaktionen auf die Verfolgung und ihre verschiedenen Handlungsweisen. Und diesen Anspruch erfüllt Ascher mit seiner gut lesbaren und spannenden Darstellung.