Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts

Weltgeschichte hat Konjunktur. Man denke z.B. an einschlägige Buchreihen wie die in Vorbereitung befindliche 'WBG-Weltgeschichte' oder an die Wiener 'Edition Weltregionen'. Im Gegensatz zu weltgeschichtlichen Darstellungen des 19. Jahrhunderts gehen moderne Weltgeschichten davon aus, dass Europa lediglich als eine der Provinzen der Welt zu sehen ist. Von diesem Ansatz lässt sich deshalb auch die von Hans-Heinrich Nolte vorgelegte 'Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts' leiten. Ihr Autor, bis zu seiner Emeritierung Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Hannover, knüpft damit nahtlos an seine 2005 vorgelegte 'Weltgeschichte des 15. bis 19. Jahrhunderts' an. Beiden Werken merkt man an, dass hier ein Historiker am Werk ist, der in großen Strukturen denkt, diese aber stets am Konkreten verifiziert. Dies belegen nicht zuletzt auch zahlreiche Aufsätze in der von Hans-Heinrich Nolte begründeten 'Zeitschrift für Weltgeschichte'. In gleicher Weise gilt das für seinen weltgeschichtlichen Ansatz, der geprägt ist von der englischsprachigen Entwicklung der Globalgeschichte und dem Weltsystemgedanken.
Entsprechend beginnt er seine Darstellung auch mit einem Blick auf das 19. Jahrhundert unter dem Gesichtspunkt 'Sieg und Aporie des europäischen Weltsystems'. Es folgen Kapitel über grundlegende Entwicklungsstränge des 20. Jahrhunderts im Blick auf Nationsbildungen und Unionen, auf Fundamentalismen und auf Sozialismusversuche. Ein nächster Block gilt der Globalen Nation (USA) und dem Kalten Krieg sowie der Frage nach der vom 'amerikanischen Umgang mit der Macht' bestimmten Weltordnung. Die beiden anschließenden Area Studies thematisieren den 'Wiederaufstieg Süd- und Ostasiens' sowie die 'Großbegriffe' 'Islam, Afrika und Lateinamerika'. Die folgenden fünfzehn Kapitel entfalten strukturelle Kernaspekte einer globalgeschichtlichen Fragestellung des 20. Jahrhunderts, darunter: Uniformierung und Differenz, vorangehende und nachholende Industrialisierungen, Ende der Ressourcen und Umweltkrise, Gewalt und Gewaltlosigkeit, Massenarmeen, Cyber-Krieg und Terrorismus, Exklusionen und Genozide, Migrationen und Vertreibungen, Emanzipationen und Unterdrückungen, Freiheit und Zwang, Moral und Religionen.
Besondere Beachtung verdient Hans-Heinrich Noltes Periodisierung das 20. Jahrhunderts: Ende der englischen Hegemonie (1917) ' Kampf um die Hegemonie zwischen den Mächten des Europäischen Konzerts, Japan und den USA (1917-1941/45) ' Sieg der USA 1945, Verweigerung der Anerkennung der Hegemonie durch die UdSSR sowie Aufbau der EU (1945-1985) - unbestrittene Hegemonie der USA sowie Wiederaufstieg der asiatischen Mächte Indien und China (seit 1985). Die Zäsurjahre 1917 und 1945 gewinnen damit eine neue Dimension; dazu kommt die Mitte der 1980er Jahre als jüngster Wendepunkt im 'Weltsystem'.
Der Band schließt mit einem Blick auf die Finanzkrise 2008. Sie hat die Verwundbarkeit des Weltsystems offen gelegt und die wirtschaftlich-soziale Zukunftsfrage fokussiert. Die globalgeschichtliche Bilanz des 20. Jahrhunderts ist deshalb höchst ambivalent.