Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um die überarbeitete Druckfassung einer 2005 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg approbierten Habilitationsschrift. Die Grundlage der Untersuchung bildet die recht umfangreiche Handschriften- und Frühdrucküberlieferung, die in polnischen Archiven und Bibliotheken erschlossen und in einer rund 45 Seiten starken Quellenbibliographie dokumentiert worden ist.
Bereits einleitend macht der Autor deutlich, dass es sich bei der Formulierung und Diskussion des spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen kollektiven historischen Gedächtnisses um einen Diskurs innerhalb der politischen und kulturellen Elite handelte, die in der Adelsrepublik freilich immer noch nach Zehntausenden zählte. Deshalb ist auch die Annäherung an die Erinnerungskulturen zunächst in den Zentren des Staatsverbandes in Krakau, später am Königshof und schließlich in den überregionalen 'Öffentlichkeiten' wie Druckmedien, Ständeversammlungen, Bildungssystem und Kirche nur schlüssig. Erst in einem zweiten Schritt wird die gesellschaftliche Reichweite dieser Vorgänge in den bürgerlichen und konfessionellen Erinnerungskulturen untersucht. In einem abschließenden Kapitel wird das frühneuzeitliche polnische Geschichtsdenken schließlich im europäischen Vergleich betrachtet und die Ergebnisse nochmals zugespitzt. Dabei wird der polnische Befund einerseits der europäischen Regel entsprechend dargestellt, andererseits werden aber auch die spezifischen Züge herausgearbeitet, die es erlauben, die polnischen Geschichtsentwürfe und deren Wirklichkeiten durchaus von den übrigen frühneuzeitlichen Nationalgeschichten zu unterscheiden. Die Anfänge des polnischen Geschichtsdenkens werden im Rahmen einer kompetitiven Nationalgeschichtsschreibung im Humanismus auf europäischer Ebene in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts verortet.
Da man nicht unmittelbar an antike Autoren anknüpfen konnte, konstruierte man den autonomen Geschichtsraum der 'Sarmatia', der zwar durchaus funktional-äquivalent zum Germania-, Britannia- oder Gallia-Begriff verstanden werden darf, der allerdings in erster Linie geographisch und nie als verbindliche Abstammungsgemeinschaft aufgefasst wurde. Damit gelang es nicht nur, potentiell konkurrierende litauische, ruthenische und preußische Geschichtsbilder, sondern auch die entsprechenden Adelsgruppierungen dieser Reichsteile einzubinden. So standen letztere zwar aufgrund der fehlenden Gleichberechtigung der Orthodoxen, Unierten oder Protestanten weitgehend außerhalb des, im europäischen Vergleich ohnehin nur schwach ausgeprägten, zentralen Staatsapparates, waren aber in die übergreifende polnische Geschichtskonstruktion einbezogen und konnten sich mit der sarmatischen Identität leicht anfreunden. Für den Verlauf des 17. Jahrhunderts beobachtet Bömelburg dann eine konfessionelle Aufladung des polnischen Geschichtsbildes, die er unter umgekehrtem Vorzeichen auch für das puritanische England unter Cromwell konstatiert. In Fortsetzung dieses Prozesses sieht er dann allerdings in der 'Durchsetzung eines pathetischen Freiheitsdiskurses in Verbindung mit einer nationalkatholischen Auserwähltheits- und Heilskonzeption' (S. 421) nach dem schwedisch-polnischen Krieg 1655-1660, der 'Sintflut' Henryk Sienkiewicz´, eine spezifische Sonderentwicklung, die er auch von den helvetischen und batavischen Freiheitsmythen unterschieden wissen will. Darüber hinaus stellt er eine weitere polnische Besonderheit für den Rezipientenkreis bzw. die verschiedenen Öffentlichkeiten des polnisch-litauischen Staatsverbandes heraus: Anders als etwa in Deutschland blieb die humanistische Geschichtskonstruktion nicht auf eine vergleichsweise schmale Gelehrtenschicht begrenzt. Vielmehr wurden die historischen Argumente bereits früh in einer breiten ständisch-adligen Öffentlichkeit diskutiert, die dank des hohen Adelsanteils rund fünf Prozent der Bevölkerung umfasste. Zugespitzt formuliert könnte man sagen, dass die polnische Erinnerungskultur und die Konstruktion des 'Sarmatismus' kongenial zur breiten Teilhabe des polnischen Adels an den frühparlamentarischen Ständeversammlungen war, insofern die polnische Erinnerungsgemeinschaft keine harten Exklusionskriterien kannte und 'nationale wie ständische Schranken [...] überwindbar blieben.' Mithin kann der polnische Adel als eine 'open elite' und als eine frühe 'moderne Erinnerungsgemeinschaft' staatsbürgerlichen Zuschnitts' (S. 427) gelten.
Mit diesem Buch hat der Autor weit mehr als eine hervorragende wissenschaftliche Qualifikationsschrift vorgelegt. Ihm ist zum einen eine Studie gelungen, die wesentlich zum Verständnis der Genese und der Beschaffenheit der ostmitteleuropäischen nationalen Identitäten beiträgt, mithin einen Beitrag zu hochaktuellen Themen liefert. Zum anderen wird mit dem humanistischen Nationskonzept und -diskurs in Polen-Litauen ein Feld in den Blick genommen, das bislang in der Hauptsache nur für Deutschland, Frankreich und Italien bearbeitet worden ist. Angesichts der für das 16. und 17. Jahrhundert kaum zu hoch einzuschätzenden Rolle der polnischen Adelsrepublik ist diese Studie daher als Standardwerk für die frühneuzeitliche Geschichte insgesamt einzuschätzen.