In seinem 'heilsam provokanten' (S. 275) Artikel über den Juden Hermann und dessen 'Opusculum seiner Bekehrung' führte Avrom Saltman in der 'Revue des études juives' (1988) den Nachweis, daß es sich dabei um 'ein fiktionales Werk, einen erbaulichen autobiographischen Roman' (S. 38) handelt und nicht um die wahre Geschichte eines Konvertiten des 12. Jahrhunderts. Damit widersprach er Gerlinde Niemeyer, der Herausgeberin der kritischen rund 60 Druckseiten umfassenden Ausgabe des Bekehrungsberichtes aus dem Jahre 1963. Er rief damit eine intensivere Beschäftigung mit diesem zweifellos bedeutenden Dokument für die christlich-jüdische Beziehungsgeschichte des Mittelalters hervor, die Schmitt, Direktor an der 'École des Hautes Études en Sciences Sociales' in Paris und Leiter des Fachbereichs 'Anthropologie historique de l'Occident médiéval' einleitend resümiert und selbst zum Gegenstand seines Interesses macht. Zweifellos ist in bezug auf den Bekehrungsbericht die Autorenfrage verlockend, gehört der Text doch einer Zeit der anonymen oder quellenmäßig kaum zu greifenden Schreiber an.
Dies scheint mit 'Hermann' anders zu sein; Hinweise zu einem konvertierten Juden diesen Namens können in der zeitgenössischen Überlieferung nachgewiesen werden. Indessen lassen sich alle Belege für eine individuelle Autorenschaft eines realexistierenden Konvertiten durch entsprechende Gegenbeweise und Argumente entkräften. Lediglich die Entstehung des Textes in der Prämonstratenser-Abtei Cappenberg erscheint nach den intensiven Diskussionen der letzten Jahre unstrittig festzustehen. Das geradezu verbissene Bemühen, in dem sich viele gelehrte Historiker und Literaturwissenschafter verschlissen, um die letztlich, wie Schmitt darlegt, nicht zu beantwortende Frage nach der Persönlichkeit des Autors zu lösen, sieht er kritisch. Schmitt wirft den Verfechtern des, so soll er hier der Kürze halber genannt werden, biographischen Ansatzes sogar vor, aus ihrem 'Rekonstruktionsbemühen heraus, ihre Hypothesen mit der Realität' (S. 46-47) zu verwechseln. In diesem Bestreben sieht Schmitt im Grunde einen althergebrachten Rankeanismus am Werk und den Versuch der Mediävisten, generell das 'Subjekt und den Autor zu rehabilitieren' (S. 75).
Ohne sich zum Verfechter des 'linguistic turn' zu machen, entwickelt er aus dieser Kritik heraus einen Zugang zum 'Opusculum', der fruchtbar und wegweisend scheint. Zunächst löst er den Gegensatz zwischen Wahrheit und Fiktion auf und schlägt einen dritten Weg vor, der die Geschichtsschreibung konsequent in ihrem historischen Kontext sieht und ihr in ihrer Eigenschaft als 'Literatur' ein gewisses Maß an Konstruktion und Komposition zuschreibt. Sie ist demnach weder ein Abbild der Wirklichkeit noch ein Roman oder eine vergleichbare Fiktion. Diese Positionierung erlaubt ihm einen frischen Blick auf den Bekehrungsbericht, den er konsequent in seinem originären Quellenwert für die übergeordneten Fragestellungen zur mittelalterlichen Autobiographie, der Traumkultur von Juden und Christen, der Bekehrung/Konversion sowie der Spiritualität der neuen Orden im 12. Jahrhundert nutzt und ihn dabei gleichzeitig vor diesem breiten Hintergrund einordnet und entsprechend bewertet. Ein wichtiges Ergebnis ist dabei die Feststellung, daß die Bekehrungsgeschichte 'die Überzeugungen der Prämonstratenser in Cappenberg widerspiegelt', wie sie sich allgemein aus den damaligen theologischen Strömungen und insbesondere aus den Auseinandersetzungen mit dem Benediktinerabt Rupert von Deutz entwickelt haben. In Konsequenz schlägt Schmitt vor, die Bekehrung des Juden Hermann gleichsam als Metapher für eine 'Spiritualisierung' der Gesellschaft, für eine Transformation des Fleisches ' verkörpert durch die 'fleischlich gesinnten' Juden ' in den Geist, den Geist auf den sich die neuen Orden berufen (S.278), zu verstehen.
Genau dieser Aufhebung des biographisch-individuellen Berichts in die/in den theologischen und ekklesiologischen Debatten sowie der christlich-jüdischen Beziehungsgeschichte verdankt das Opusculum seine einzigartige Resonanz und rasche Verbreitung. Dem Rezensenten drängt sich nach der außerordentlich anregenden Lektüre dieses Bandes daher der Gedanke auf, ob im Grunde nicht nur die Frage nach der alleinigen oder kollektiven Autorschaft 'kaum von Bedeutung ist' (S. 276), sondern auch jene nach Wahrheit oder Fiktion erweitert und nicht besser zwischen 'Wahrheit' und 'Wirklichkeit' getrennt werden müsste, um die Bedeutung dieses Dokumentes, wie historischer Überlieferungen allgemein, recht erfassen zu können.