Bauernfehden
Studien zur Fehdeführung Nichtadliger im spätmittelalterlichen römisch-deutschen Reich

Mit ihrer Mannheimer Habilitationsschrift leistet Christine Reinle einen gewichtigen Beitrag zur Fehdeforschung. Als Aufhänger nutzt sie die in den letzten Jahren von Gadi Algazi und anderen vorgetragene Kritik an Otto Brunner. Dabei geht es ihr zentral darum, die Brauchbarkeit von Brunners Begriff der 'konkreten Ordnung' jenseits der ihm vorgeworfenen 'nationalsozialistischen Einfärbung' (S. 60) erneut zu prüfen. Die Grundannahme Otto Brunners vom Rechtscharakter der Fehde brachte ihm den Vorwurf ein, daß er damit der nationalsozialistischen 'Rehabilitation von Gewalt und Krieg als politischen Instrumenten' (S. 20) Vorschub geleistet hätte. Diesen Kritikern attestiert Reinle denselben Fehler, den sie Brunner vorwerfen, 'nämlich ihre eigene Bindung an politische Trends und an Bedürfnislagen der Gegenwart nicht zu hinterfragen' (S. 21). Dies gelte besonders für Algazi, 'dessen Engagement in der israelischen Friedensbewegung offenkundig seine Bewertung von Gewalt in der Geschichte beeinflußt' habe (S. 21, Anm. 64). Ohne auf diesen Vorwurf weiter eingehen zu wollen, sei grundsätzlich festgestellt, daß wohl kein sich selbst und seine Arbeit ernstnehmender Historiker die Zeitgebundenheit seiner Forschungen nicht reflektiert. Daran, daß seit dem Frankfurter Historikertag einige Fachvertreter empfindlich reagieren, wenn die Verstrickung vieler Heroen ihres Faches in den Nationalsozialismus und die teilweise überdeutliche funktionale Komplementarität von deren Arbeiten und Terminologie mit der nationalsozialistischen Politik- und Gesellschaftsauffassung thematisiert werden, hat man sich mittlerweile gewöhnt. Daß dies mit Algazi, Morsel und Zmora, wie explizit zu lesen ist, 'nichtdeutsche Forscher' (S. 21) sind, oder im engeren Sinne nicht einmal Fachkollegen hat meines Erachtens nichts mit deren 'Political Correctness' (S. 20) zu tun, sondern zeigt doch vielmehr, daß eine angemessene historiographiegeschichtliche Kritik zunftintern offenbar nicht möglich war bzw. ' aus welchen Gründen auch immer ' annähernd ein halbes Jahrhundert hindurch versäumt worden ist. Im übrigen haben sich aber auch einschlägig ausgewiesene deutsche Forscher kritisch mit der Mediävistik und besonders der Rolle Brunners und seines Werkes auseinandergesetzt, die über den Verdacht der zeitgeistigen Political Correctness erhaben, von Reinle allerdings nicht berücksichtigt worden sind; zu nennen wären etwa Reinhard Blänkner (1999), Michael Borgolte (1995, 1996), Dietrich Hilger (1975), Robert Jütte (1984), Otto Gerhard Oexle (1996 u.ö.), Klaus Schreiner (1985) und Karl Ferdinand Werner (1967). So scheint Reinle auf den zweiten Blick mit Algazi und Co. ' ich bin politisch unkorrekt ' einen sprichwörtlichen ‚Türken’ aufgebaut zu haben, was vor dem Hintergrund der wissenschaftlichen Substanz und Qualität ihrer Arbeit unverständlich erscheint. Um, wenn nicht politisch unkorrekt, so doch aber unwissenschaftlich zu argumentieren, kann ich daher die Äußerung nicht unterdrücken, dass mir persönlich ein Aktivist der israelischen Friedensbewegung letztlich sympathischer ist, als ein deutscher Historiker, der sich meines Wissens nie dezidiert zu seiner Tätigkeit im Dritten Reich und der zumindest problematischen und diskussionswürdigen Nähe seines Werkes zur nationalsozialistischen Ideologie geäußert bzw. davon distanziert hätte.

Nun aber zum Inhalt der vorliegenden Studie. Sie besteht aus vier Teilen und wird durch umfangreiche Anhänge u.a. zu ihren zentralen Quellenbeständen (S. 359-536) ergänzt. Nach dem ersten, die in der Literatur vertretenen Thesen zusammenfassenden Abschnitt stellt sie die Fehdepraxis Nichtadliger als Desiderat der Forschung heraus und spitzt dies auf die bäuerlichen Schichten zu, die in der bisherigen Forschung fast ausschließlich als Opfer adliger Herrengewalt betrachtet worden sind. Trotz der von ihr beklagten Quellenlage kann sie den Nachweis führen, daß die Fehde sinnvollerweise nicht verkürzend als Herrenrecht verstanden werden darf, sondern als ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, das auch in der 'dörflichen Gesellschaft praktiziert und akzeptiert' worden sei (S. 342). In den anschließenden Abschnitten zu methodischen und definitorischen Überlegungen entwickelt sie ihren Ansatz, der eine verstärkte Berücksichtigung des Gewohnheitsrechts verlangt. Nur auf diesem Wege kann die Rechtswirklichkeit der Fehde tatsächlich vollständig erfaßt und die in Kategorien des 20. Jahrhunderts argumentierende Verkürzung überwunden werden. Damit knüpft Sie ausdrücklich an Brunners Konzept der 'konkreten Ordnung' an und möchte dieses auf 'alle Schichten der Bevölkerung' ausgeweitet wissen (S. 60). Schließlich stellt sie ihren 'Testfall Altbayern' und ihre zentrale Quellengruppe, die Landschreiberrechnungen, vor.
Der zweite Teil (S. 75-122) widmet sich den 'normativen' Regelungen vom Regensburger Landfrieden (1244) bis zum Landgebot Herzog Wilhelms (1512), die den Rahmen für die im folgenden behandelten konkreten Fehdefälle bilden. Dabei kann sie herausarbeiten, daß die Gewalttaten Nichtadliger (noch) nicht immer gewöhnliche Kriminalität gewesen, sondern oft als Fehdehandlungen aufgefaßt worden seien, wenngleich sie während des ganzen 15. Jahrhunderts bestraft wurden. Es handelt sich also um einen für das Spätmittelalter und die beginnende Frühneuzeit typischen Fall von Durchsetzung obrigkeitlichen positiven Rechts gegen ältere Gewohnheitsrechte.
Der dritte und vierte Teil bringen dann die konkreten quellennahen Untersuchungen der einzelnen Fehderechtsfälle, sechs bzw. acht werden vertieft dargestellt, und die im Anhang dokumentierten nach Hunderten zählenden bäuerlichen Fehden systematisch untersucht.

Insgesamt überzeugt Reinle den Leser von der Existenz der Bauernfehde nicht nur als Kriminaldelikt, sondern tatsächlich als geübte Form der Rechtsfindung sowie von der Notwendigkeit, Gewohnheit und Gewohnheitsrecht mit in rechtshistorische Betrachtungen zu ziehen. Damit hat sie wissenschaftlich und fachlich Algazis These der exklusiven 'Herrengewalt' zweifellos überzeugend relativiert. Den von ihm geäußerten Vorwurf an Brunners Konzept der 'konkreten Ordnung' und dessen ideologischer Nähe zum Nationalsozialismus kann sie freilich nicht entkräften und greift ihn in ihrem Resümee auch nicht mehr auf.