Die Verfolgung und Vernichtung der Juden im Reichsgau Wartheland 1939-1945

In den letzten Jahren wurde innerhalb der historischen Holocaustforschung verstärkt die Rolle der lokalen Machthaber untersucht, also der Fokus von der Zentrale der Macht (Berlin) hin zur Peripherie verschoben. Der Reichsgau Wartheland mit Gauleiter Arthur Greiser an der Spitze spielt eine zentrale Rolle innerhalb der nationalsozialistischen Judenvernichtung, die bisher aber kaum erforscht war, zumal im außerpolnischen Sprachbereich. Mit der nun endlich veröffentlichten Dissertation von Michael Alberti wird diese Lücke auf beeindruckende Weise geschlossen. Alberti, der umfangreiche deutsche und polnische Quellen und Literatur gleichermaßen auswertet, untersucht die Akteure und ihre jeweilige Rolle bei der Ingangsetzung und Durchführung des Massenmordes und stellt die Bedeutung des systematischen Arbeitseinsatzes der jüdischen Bevölkerung in Gettos und Zwangsarbeitslagern und besonders im Getto Lodz/Litzmannstadt für die Kriegswirtschaft dar. Dieses nach jenem in Warschau größte Getto nimmt in der Untersuchung entsprechend großen Raum ein, doch schildert Alberti auch die Vorgänge im übrigen Warthegau. Gerade die Geschichte dieser kleineren Gettos war in Deutschland bisher so gut wie unbekannt.
Auf dem Gebiet des später geschaffenen Warthegaues lebten zum Zeitpunkt des deutschen Einmarsches etwa 435.000 Juden. Diese wurden in der ersten Phase terrorisiert, entrechtet und einige wurden zu diesem frühen Zeitpunkt bereits ermordet; das Ziel der deutschen Machthaber war es aber, die Juden in das Generalgouvernement zwangsumzusiedeln. Damit wäre die 'Judenfrage' in diesem Gebiet bereits im Jahre 1940 'gelöst' gewesen. Die Pläne scheiterten, nur ein Teil der Menschen konnte abgeschoben werden, die jüdische Bevölkerung wurde als 'Übergangslösung' teilweise in Gettos konzentriert. In Lodz bauten der dortige Leiter der deutschen Gettoverwaltung, Hans Biebow, und der für die innerjüdische Verwaltung verantwortliche, von den Deutschen eingesetzte Judenälteste, Mordechai Chaim Rumkowski, eine derart effektive Industrie auf, daß dieses Getto am längsten von allen von Nationalsozialisten eingerichteten Gettos existierte, erst im Sommer 1944 lösten die Deutschen es auf. Für die nicht 'arbeitsfähigen' Juden entwickelten die Machthaber im Warthegau jedoch seit dem Jahre 1941 eine andere 'Lösung': den Massenmord im Vernichtungslager Kulmhof (Chełmno), in dem das zuvor bei Tötungen im Rahmen der 'Euthanasie-Aktion' eingesetzte SS-Sonderkommando Lange die Opfer in Gaswagen ermordete. Bis zum Beginn der Vernichtung in Kulmhof waren bereits Zehntausende Juden im Warthegau infolge der katastrophalen Lebensbedingungen in den Gettos an Hunger und Krankheiten gestorben oder wegen angeblicher Straftaten exekutiert worden. Von 1939 bis 1941 ermordeten die Nationalsozialisten im Warthegau zudem systematisch die polnische Intelligenz und die Insassen der Heilanstalten für Geisteskranke. Im Dezember 1941 begann dann die 'Endlösung' im Warthegau mit den Deportationen von Juden aus den Provinzgettos und auch aus dem Getto Lodz nach Kulmhof. Ab September 1942 lebten nur noch im Getto Lodz und in Zwangsarbeitslagern Juden im Warthegau, die Lager wurden im Jahre 1943 ebenfalls aufgelöst.
Michael Alberti arbeitet überzeugend die aktive Rolle der lokalen Machhaber mit Gauleiter Artur Greiser, einem radikalen Antisemiten, an der Spitze der Entwicklung hin zum Massenmord heraus. Gleichzeitig zeigt er auch den Sinneswandel der Verantwortlichen auf, die den zum Reich gehördenden Warthegau zunächst 'judenfrei' sehen wollten, dann jedoch aus ökonomischen Interessen den Einsatz der jüdischen Arbeitskräfte, vor allem für die Wehrmacht, unterstützen und seit dem Frühsommer 1942 die 'arbeitsfähigen' Juden aus den Provinzgettos im 'Gaugetto' Lodz/Litzmannstadt konzentrierten. Bis zum Schluß blieb aber innerhalb der NS-Führung der Konflikt zwischen einer ökonomisch-pragmatischen und einer ideologisch-rassistischen 'Judenpolitik' virulent, und am Ende setzte sich die radikale Linie durch: Im Sommer 1944 wurden etwa 70.000 Juden aus dem Getto Lodz nach Auschwitz deportiert.
Michael Alberti zeigt in seiner bemerkenswerten Untersuchung die Bedeutung der Vorgänge im Reichsgau Wartheland innerhalb der Entwicklung des Judenmords auf und betont, 'dass sich die intentionale Einstellung und die Befehlsgebung in ihrer regionalen Durchführung mit funktionalen Mechanismen der Besatzungsstruktur und 'politik verbanden' (S. 516). Das Resultat war verheerend: 'Nur etwa 3,5 Prozent der wartheländischen Juden inklusive derjenigen, die im Herbst 1941 aus dem Großdeutschen Reich in das Ghetto Łódź verschleppt worden waren, überlebten den Krieg' (S. 518).