Stadtverwaltung im Nationalsozialismus
Systemstabilisierende Dimensionen kommunaler Herrschaft

Vor gut 30 Jahren begannen Historiker innerhalb der Forschung zum Nationalsozialismus die Lokal- und Regionalgeschichte stärker in den Blick zu rücken. In dieser Entwicklung steht auch der vorliegende Band, setzt aber einen Akzent, der zuvor eher wenig berücksichtigt wurde: die Rolle der kommunalen Verwaltung innerhalb des NS-Systems und vor allem deren aktive Teilnahme an der antijüdischen Verfolgung. Hier hat zuvor vor allem Wolf Gruner Pionierarbeit geleistet, an die der Sammelband anknüpft.
Im Jahre 2003 fanden unabhängig voneinander gleich drei Workshops statt, die sich mit regionalen oder kommunalen Aspekten der nationalsozialistischen Herrschaft beschäftigten. Auf einem von ihnen entstand angesichts der offenkundigen Aktualität des Themas die Idee zum vorliegenden Sammelband. Die Autoren sind junge Historikerinnen und Historiker, die neueste Forschungen in gelungenen Aufsätzen präsentieren.
Die beiden Herausgeber weisen in ihrer Einleitung darauf hin, daß 'die Stadtverwaltungen auch und gerade unter den besonderen Bedingungen des NS-Regimes eigenständige Handlungsräume behielten bzw. sich neue Tätigkeitsfelder erschlossen, die sie aktiv, selbständig und dynamisch ausfüllten' (S. 6). Diese Tätigkeitsfelder und Handlungsspielräume untersuchen die Beiträger des Bandes exemplarisch. Die Aufsätze sind dabei drei Themenfeldern zugeordnet: 'Personalpolitik und -verwaltung' (drei Untersuchungen), 'Konsolidierung und Versorgung' (mit fünf Aufsätzen am umfangreichsten behandelt) sowie 'Verfolgung' (vier Texte).
Personelle Kooperationen und Konflikte vor Ort waren ein zentraler Faktor der Verwaltung, der variierte. Sabine Mecking beispielsweise zeigt in ihrem Beitrag, daß in Münster Oberbürgermeister Albert Hillebrand so eng mit dem Kreisleiter der NSDAP zusammenarbeitete, daß dieser sogar an Dezernentenbesprechungen teilnahm, sie verdeutlicht am Beispiel der Stadt Münster aber auch die bestehenden 'Spannungen zwischen Ideologie, Propaganda und Praxis im NS-Staat' (S. 103). Es wird deutlich, daß nicht überzeugte Antisemiten nötig waren, um die Verfolgung vor Ort zu forcieren, sondern 'dienstbeflissene Beamte': 'Beamte setzten die ideologischen Vorgaben konkret im Behördenalltag um und machten sie verwaltungstechnisch erst anwendbar. Indem sie NS-Politik praktizierten, sei es aus rassistischen Motiven oder ökonomischen Interessen, stellten sie ein zuverlässiges Element im NS-Herrschafts- und Terrorsystem dar.' (S. 14). Beim Thema 'Verfolgung' sind im vorliegenden Band zwei Aufsätze der 'Arisierung' gewidmet, Maren Janetzko untersucht die Beteiligung der Stadtverwaltungen Augsburg und Memmingen bei der Enteignung der Juden, Doris Eizenhöfer die der Stadtverwaltung in Frankfurt am Main. Rüdiger Fleiter weist am Beispiel der Stadt Hannover nach: 'Die Erb- und Rassengesetzgebung wurde nicht von der Partei, sondern von den kommunalen und staatlichen Gesundheitsämtern umgesetzt.' (S. 338). Hier zeigt sich, daß die Beteiligung der Kommunalverwaltungen an Verfolgungsmaßnahmen keineswegs auf einen Bereich beschränkt blieb, sondern sämtliche Ebenen städtischer Verwaltung betraf. Dies macht der Sammelband anhand von Fallbeispielen eindrucksvoll deutlich.