Kartenwelten
Der Raum und seine Repräsentation in der Neuzeit

Karten sind Konstrukte räumlicher Wirklichkeit. Schon bei der Wahl des Kartenausschnitts, des Maßstabs, der Farben und Symbolen beginnt die Konstruktionsarbeit. Gleichsam als zweite Seite derselben Medaille bedarf es von Seiten des Kartennutzers der Dekonstruktionstätigkeit. Das impliziert bei historischen Karten ein doppeltes Grundproblem: Die Konstruktion des seinerzeitigen Raumes galt einer räumlichen Wirklichkeit, die für den heutigen Kartenbetrachter eine zum Teil völlig 'fremde Welt' darstellt; entsprechend partiell muß die Dekonstruktion ausfallen. Es gilt also ' um Kartenwelten weitestmöglich zu entschlüsseln ', die Botschaften und Weltbilder offenzulegen, die in Karten angelegt sind. Denn: Karten sind nicht erst seit Beginn der Neuzeit weit mehr als nur Orientierungshilfen, sie sind auch 'Texte', die es zu lesen gilt. Entsprechend gliedert der von Christof Dipper und Ute Schneider ' beide lehren im Institut für Geschichte der TU Darmstadt ' herausgegebene Sammelband seine Beiträge in drei Kapiteln: Karten zeichnen und lesen ' Karten als Orientierungshilfe ' Karten als Text. Veranschaulicht z. B. der Beitrag eines Geschichtsdidaktikers im ersten Kapitel am Beispiel von modernen thematischen Geschichtskarten 'wie Geschichte zweidimensional wird', so entfalten die Autoren der beiden übrigen Kapitel an Beispielen seit dem 16. Jahrhundert, wie Karten Botschaften und Weltbilder transportieren ' bis hin zum Transfer von politischen 'mainstreams'. Ein Beispiel dafür bieten die Darstellungen des britischen Weltreiches im 19. Jahrhunderts in britischen Atlanten. Sie zeigen das Empire in 'Rot', nicht zufällig in gerade dieser Farbe. Ein ähnliches Beispiel bieten die Darstellungen der deutsch-polnischen Grenzregion auf Karten des 19. Jahrhunderts. Deutlicher kann die 'Konstruktion' nationalen Raumbewußtseins kaum pointiert werden. Der Band bietet also ganz unterschiedliche Facetten des Themas 'Kartenwelten'. Indem er sie an einer Vielzahl von Kartenbeispielen aufzeigt, die zumeist auch abgedruckt sind, vielfach zwar notwendigerweise verkleinert, aber dennoch in ihrer Absicht erkennbar, ist es eine Freude, sich in das Buch zu vertiefen. Die 'Kartenwelten' erschließen so nicht nur die 'Welt der Karten', sondern sie regen auch dazu an, zu den 'Karten der Welt' einen über die Orientierung hinausgehenden Zugang zu suchen.