Werner Jacob Cahnman (1902-1980) war einer der deutsch-jüdischen Wissenschaftler, denen es gelang, der Shoah durch eine Emigration in die USA zu entkommen, der damit aber auch in seinem Geburtsland viel zu sehr in Vergessenheit geriet. Judith Marcus und Zoltán Tarr haben nun einen Sammelband mit Texten des Soziologen zu 'Deutschen Juden', so der Titel, vorgelegt und bringen seine Arbeiten damit auch einem deutschen Publikum wieder näher.
Die beiden Herausgeber skizzieren einleitend knapp den Lebensweg Cahnmans und führen in sein Werk und die hier veröffentlichten Aufsätze ein: Werner J. Cahnman wuchs in München in einer großbürgerlichen, assimilierten deutsch-jüdischen Familie auf; er begann früh über das Judentum zu lesen, war nach seiner Promotion und wirtschaftlicher Tätigkeit vom Sommer 1930 an beim Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens angestellt, zunächst in Berlin, dann beim Landesverband Bayern in München, bis diesem im Januar 1934 jede Betätigung verboten wurde. Nach kurzer Arbeit für den Landesverbund Hessen und Hessen-Nassau in Frankfurt am Main war er vom Winter 1934 an als Schriftsteller, Journalist und Wissenschaftler frei tätig und verrichtete ehrenamtliche Arbeiten für die Jüdische Gemeinde. Einige der Aufsätze Cahnmans aus dieser frühen Schaffensperiode sind im vorliegenden Band veröffentlicht, so etwa 'Juden in den deutschen Landschaften' (Erstdruck in 'Der Morgen, Jg. 10, Nr. 9, 1934) oder 'Unruhe in Palästina. Reisebericht und Folgerungen aus dem Jahr 1936' sowie Aufsätze zu Fragen wie 'Wer soll nach Palästina gehen'('Israelisches Familienblatt, 24. September 1936) und 'Warum hebräisch lernen?' ('Frankfurter Israelisches Gemeindeblatt, 15. Jg., Nr. 6., März 1937).
Von 1964 stammt Cahnmans Bericht 'Im Konzentrationslager Dachau'. Wie viele deutsche Juden wurde auch er im Zusammenhang mit der Pogromnacht vom 9. November 1938 inhaftiert und in ein Konzentrationslager überführt. Er beschreibt die Bedingungen seines Lebens im Lager, das bis zum 16. Dezember 1938 dauerte: 'Während der Nacht waren wir wie Sardinen aneinandergepresst auf dünnen Strohmatratzen, die auf einem Zementboden lagen. Raum war sehr gesucht, es war unmöglich auf dem Rücken zu liegen ' man musste auf der Seite liegen. Wer die Toilette aufsuchen musste, konnte es nicht vermeiden, auf Reihen von Schlafenden zu treten. Nicht wenige Männer atmeten schwer und schnarchten stark, und der Lärm hörte nie auf. Die Luft war fast zum Ersticken' (S. 135). Ein halbes Jahr später emigrierte Cahnman, zunächst nach England: 'Ich verliess Deutschland am 20. Juni 1939. An diesem Tag begann ich ein neues Leben' (S. 141). 1940 erreichte er die USA, wo er an den Universitäten Chicago (hier heiratete er Dr. Gisella Levi), Fist, Vanderbild und Atlanta tätig war, ohne jedoch wirklich im akademischen Betrieb heimisch zu werden. Für verschiedene Zeitschriften schrieb er in dieser Lebensphase und fand Zugang zu jüdischen Wissenschaftler-Kreisen, bevor sein Leben sich Ende der 1950er Jahre noch einmal wandelte. Diese Periode, so die Herausgeber, 'umfasst die letzten zwanzig Jahre seines Lebens als er endlich im akademischen Betrieb Fuß fassen konnte' (S. 11). Nach Gastprofessuren am Hunter College und der Yeshiva University wurde er 1962 als Professor für Soziologie an die Universität von Rutgers in Newark berufen, wo er 1968 pensioniert wurde.
In einem Interview anläßlich seines 70. Geburtstags sagte Cahnman: 'Die Spannung zwischen intimer Symbiose und hartem Konflikt sehe ich als Leitmotiv der jüdischen Geschichte' (S. 13). In diesem Spannungsfeld bewegen sich seine historischen und soziologischen Forschungen zum Judentum. Eine Auswahl dieser spannenden Arbeiten, geschrieben zwischen 1926 und 1978, teilweise erstmals einem deutschen Publikum zugänglich gemacht zu haben, ist das große Verdienst der beiden Herausgeber.