Europa
Geographie, Geschichte, Wirtschaft, Politik

'Europa als Ganzes' ist ein geographisches Thema besonderer Tradition. Die erste systematische Darstellung hat Carl Ritter vorgelegt, einer der 'Väter' der Geographie als Wissenschaft: 'Europa, Ein geographisch-historisches Gemählde' (1804/05). 1929 folgte Fritz Machatschek mit seiner Monographie 'Europa als Ganzes'. Das war in einer Zeit, als Geographie ' verstanden als Länderkunde ' das Ziel verfolgte, 'Landschaften als Ganzes' zu begreifen. Die nächste bedeutsame europäische Regionalgeographie wurde dann 1978 von Walter Sperling und Adolf Karger unter dem Titel 'Europa' in der Reihe 'Fischer Länderkunde' herausgegeben. Sie repräsentiert zugleich den in den 1970er Jahren allgemein sich vollziehenden Übergang von den bis dahin dominanten deskriptiven, ideographischen und chorologischen Sichtweisen zu problemorientierten Betrachtungsansätzen, die die Länderkunde / regionale Geographie zu einer neuen Entfaltung geführt haben.
Ein besonders gelungenes Beispiel einer solcherart konzipierten 'Geographie Europas' hat nun die Wiener Geographin und 'Altmeisterin' ihres Faches Elisabeth Lichtenberger vorgelegt. Sie befaßt sich seit den 1960er Jahren als Hochschullehrerin mit 'Europa als Ganzem': in der Außenansicht während ihrer Gastprofessorenzeit in Nordamerika wie der Innenperspektive von Österreich aus. Die Ergebnisse aus nahezu einem halben Jahrhundert faßt sie nun in zehn Kapiteln zusammen: Was war und was ist Europa? ' Natur und Gesellschaft ' Der historische Sonderweg Europas ' Vom Experiment der Teilung zum Projekt Europa ' Die Europäer und der soziale Wohlfahrtsstaat ' Die europäische Stadt ' Das ländliche Europa und die Agrarwirtschaft ' Europäische Wirtschaft und Kultur ' Die europäische Freizeitgesellschaft ' Quo vadis, Europa?. Bereits ein Blick ins Inhaltsverzeichnis des Bandes macht also deutlich, was die Autorin unter einer 'modernen Länderkunde' versteht: nicht einen Faktenkatalog, sondern eine Problementfaltung der raumrelevanten Kerngesichtspunkte der Geographie, Geschichte, Wirtschaft und Politik. Ziel ist es dabei, 'eine historisch verankerte und räumlich differenzierte Standortbestimmung der Sonderstellung des modernen Europa in der westlichen Welt' (S. 9) vorzunehmen.
Daß das Buch dieser Zielsetzung vollauf gerecht wird, stellt der Geograph, Historiker und Sozialwissenschaftler gerne und anerkennend fest. Die reiche Ausstattung des Bandes durch treffliche Photos, Karten sowie informative Tabellen und Diagramme trägt dazu ebenso bei wie die pointierten Gedankenführungen und differenzierten Problementfaltungen. 'Europa' ist Elisabeth Lichtenbergers 'opus magnum'.