Zygielbojms Reise
Eine Spurensuche

Szmul Zygielbojm, Mitglied des Nationalrates der polnischen Exilregierung, nahm sich am 12. Mai 1943 in London angesichts der Niederschlagung des Aufstandes im Warschauer Ghetto das Leben. Sein Tod war ein Protest gegen das Schweigen und die Tatenlosigkeit der westlichen Welt. In seinem Abschiedsbrief ist unter anderem zu lesen: 'Ich kann nicht schweigen und ich kann nicht leben, wenn die Reste des jüdischen Volkes in Polen, dessen Repräsentant ich bin, ums Leben kommen. […] Mit meinem Tod will ich den tiefen Protest gegen die Untätigkeit, mit der die Welt zuschaut und die Ausrottung des jüdischen Volkes zuläßt, zum Ausdruck bringen. […] Mein Leben gehört dem jüdischen Volk in Polen, also gebe ich es hin' (S. 18).
Die verzweifelte Tat von Zygielbojm blieb folgenlos. Die Welt schaute der Ermordung der europäischen Juden weiter zu.
Der Selbstmord setzte einem bewegten Leben ein Ende: Szmul Zygielbojm wurde 1895 in Ostpolen in der Nähe von Lublin geboren und wuchs dort in großer Armut auf. Er wandte sich der Politik zu und wurde Funktionär des 'Bundes', der jüdischen Arbeiterpartei. Zu Beginn des Zweiten Weltkieges war Zygielbojm in Warschau, floh 1940 in einer atemberaubenden Reise mitten durch Nazi-Deutschland nach Westeuropa und weiter nach New York. Von dort entsandte ihn seine Partei im März 1942 nach London, wo er als jüdischer Vertreter im Nationalrat der polnischen Exilregierung tätig war. Verzweifelt versuchte er angesichts der ihn hier erreichenden Nachrichten über den Judenmord die Politiker zum Handeln zu bewegen. Der Gedanke an das Schicksal seiner Glaubensbrüder ließ ihn nicht mehr los, all sein Handeln konzentrierte sich darauf ' bis in den Tod.
Der Warschauer Schriftsteller und Journalist Aleksander Rowiñski begab sich seit dem Ende der 1970er Jahre auf eine 'Spurensuche', wie sein Buch im Untertitel der deutschen Ausgabe heißt. Er traf Zeitzeugen, spürte Verwandte auf, suchte Dokumente in Warschau, London und New York. Die Beschreibung dieser Suche nimmt breiten Raum im vorliegenden Buch ein, wird mit der immer detaillierter recherchierten Biographie des Protagonisten verwoben.
Leider ist die Übersetzung mitunter etwas holperig. Die Anmerkungen sind recht knapp gehalten, auch werden neuere Forschungen nicht rezipiert. Doch war es offensichtlich auch gar nicht das Anliegen des Autors, eine im strengeren Sinne wissenschaftliche Biographie zu schreiben. Es handelt sich vielmehr um die leidenschaftliche und hartnäckige Suche eines Journalisten nach Informationen über das bei ihrem Beginn nur spärlich beleuchtete Leben von Szmul Zygielbojm. Das Leben Zygielbojms ist faszinierend, ebenso die Schilderung der 'Spurensuche', etwa die Beschreibung des Klimas, in der sich diese Suche Anfang der 1980er Jahre abspielte, und wie schwierig sich die Kontaktaufnahme von Rowiñski in Polen zu Zygielbojms Bruder in Israel gestaltete. Oder die Schilderung der gemeinsamen Reise des Autors mit jenem Bruder durch Polen, während derer Feivel vom damaligen Leben erzählt, von den jüdischen Schtetl in der Lubliner Gegend, die im Zweiten Weltkrieg ebenso wie ihre Bewohner vernichtet wurden. Rowiñski hat zahlreiche private Dokumente von Zygielbojm selbst oder aus seinem direkten Umfeld gefunden, aus denen er ausgiebig zitiert und die teilweise als Faksimile abgedruckt sind, so Briefe von seiner Frau und seiner Tochter aus dem Warschauer Ghetto. Vor allem der Bericht Zygielbojms über seine Reise durch das nationalsozialistische Deutschland ist ein spannendes Dokument, das nun erstmals in deutscher Sprache vorliegt.
Trotz einiger Schwächen ist dies ein wichtiges Buch: Rowiñski setzt einer jüdischen Persönlichkeit ein Denkmal, über die noch immer recht wenig bekannt ist und über die es sich lohnt zu lesen.