Die Storia oder die Kunst des Erzählens in der italienischen Malerei und Plastik ...

 'Die Bildbeschreibung steht am Anfang aller Kunstbetrachtung' ' das ist die conditio sine qua non für die Kunstgeschichte. Es ist aber zweifelsohne auch ihre schwierigste Aufgabe.
Dabei ist zunächst zu fragen: Welche Texte stehen hinter den Bildprogrammen? Generell waren die Texte der Storia in der damaligen Zeit bekannt: Bibel (mit Altem und Neuem Testament), Apokryphen, Kirchenväter, theologische Kommentare, Predigten, Legenden. Für die Konstatierung des Bildprogramms war in der Regel ein Theologe zuständig, so daß dem Künstler die Aufgabe blieb, diese Vorgaben ins Bild zu übertragen, im Bild nachzuerzählen, eventuell zu interpretieren. Das geschah nicht immer in strenger Konformität mit den Bildern, sondern bisweilen stark subjektiv und auch mit 'Ergänzungen'.
Wie sind in der Zeit von 1260 bis 1460 (von Nicola Pisano bis Piero della Francesca) dem Betrachter die ihm zum Teil bekannten Berichte und Erzählungen 'bildhaft' vor Augen gestellt worden, so daß sie ihm 'einsichtig' wurden und ihm zum Verstehen weiterhalfen?
Besonders schwierig und darum selten ist die Weitergabe von Glaubensinhalten, die ausschließlich zum Bereich der Individualität und Subjektivität des Menschen gehören und folglich kaum 'faßbar' sind. Natürlich werden auch Erfahrungen der sichtbaren Welt durch die Künstler hie und da den Bildern integriert, was nicht erstaunlich ist, weil mit Petrarca (1304-1372) der Humanismus zum geistesgeschichtlichen Regulativ geworden war.
Bildbeschreibungen gibt es im Rahmen der Kunstgeschichte selten. Bekannt sind lediglich in der Antike um 200 n.Chr. Philostrat, in der Frührenaissance Lorenzo Ghiberti (1450) und in der Renaissance Giorgio Vasari (1550 und 1568), die Prinz natürlich im Anfang seines Opus vorstellt (S. 20-37), das dann mit der Analyse und Interpretation der 'Reliefs der Kanzel im Baptisterium von Pisa' von Nicola Pisano beginnt (S. 40) und mit dem 'Kreuzzyklus der Chorkapelle in S.Francesco von Arezzo' (S. 450) schließt.
Welche Erkenntnisse und Mittel setzen die Künstler zur Gestaltung ihrer Erzählkunst ein? Es sind deren zahlreiche: Die Natur, die Physiognomie, Gemütsbewegungen und Gesten, Kontrapost und Symmetrie, Bewegung und Zeitablauf, Pflanzen und Tiere (S. 472-652). Hier hätte die Zahlensymbolik mitberücksichtigt werden müssen! Die umfassenden Ausführungen zur 'Paradiesestür' am Baptisterium in Florenz (S. 228), zusammen mit der Darlegung ihres ecclesiologischen Programms (S. 259-400 von Iris Marzik) ist zweifelsohne in jeder Hinsicht akriebisch, belegt aber ebenso die ' bleibende? ' Schwierigkeit der Deutung überhaupt. Von theologischer Seite wären auch an diesen Beitrag etliche kritische Fragen zu stellen.
Die Bilddokumentation ist generell optimal und (in der Sicht des Rezensenten: lobenswerterweise) ausschließlich in Schwarz/Weiß. Positiv hervorgehoben werden muß auch, daß die Anmerkungen jeweils auf der Textseite unten plaziert sind, nicht in einem Anhang am Ende des Buches. Jede Rezension wirft Fragen auf und verbalisiert individuelle, subjektive Kritik. Unabhängig davon ist das vorliegende 'opus magnum' nicht nur allgemein 'großartig', sondern es bereichert wesentlich die kunsthistorische Forschung, weil es eines ihrer bisher brachliegenden Felder 'beackert' hat, in minutiöser, aber überzeugender Weise!